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Wild sein am Wörthersee

Ingeborg-Bachmann-Preis für Georg Klein: Ein Nachwuchsfestival sind die Klagenfurter Literaturtage nun also nicht mehr. Aber was sind sie dann? Es triumphierten die literarisch hochgetunten Geschichten. Alltagsbegleitung war nur erzähltechnisch versiert zugelassen. Außerdem schien die Sonne

von DIRK KNIPPHALS

Klagenfurt in den letzten Juni- und ersten Julitagen. Viele Stunden trugen federleichte Sommerkleider, und der Literaturbetrieb packte am Wörthersee mal wieder die Badehosen aus. Manchmal regnete es aber auch. Und aus irgendeinem Grund nahm unsereiner bei den Heimfahrten ins Hotel mit dem geliehenen Fahrrad immer einen Umweg über die Bahnhofstraße in Kauf, um das große Plakat mit der Aufschrift „Bürger-Büro von Landeshauptmann Dr. Jörg Haider“ anzusehen: eine Handlung, dessen psychologische Motivation im Dunkeln blieb. Ein Versuch, sich einen kleinen Kick durch schwere politische Zeichen abzuholen? Pure Neugierde? Leises Triumphgefühl, weil man vor dem Schlafengehen noch einmal den Kopf über diese Österreicher schütteln konnte? Man weiß es nicht.

Ansonsten aber hat Jörg Haider bei den diesjährigen Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt nur eine vernachlässigenswerte Rolle gespielt. Wie ja so gut wie ganz Klagenfurt, ganz Kärnten, ganz Österreich und überhaupt die ganze nichtliterarische Welt vom vergangenen Mittwoch bis zum gestrigen Sonntag nur eine kleine Rolle gespielt hat. Bei Gruppen, die stark mit sich selbst beschäftigt sind, geht die Wahrnehmung der Außenweltreize bekanntlich gegen null, und der deutschsprachige Literaturbetrieb ist ganz gewiss eine stark mit sich selbst beschäftigte Gruppe. Der Kontakt mit den Einheimischen beschränkte sich auf das Hotelpersonal. Und vielleicht noch auf jenen stolzen Kneipier, der – als er mitbekam, dass in dem bunten Haufen, der an einem der Abende sein Lokal enterte, sich ein leibhaftiger ehemaliger Ingeborg-Bachmann-Preisträger befand (Norbert Niemann war’s) – zu später Stunde noch die Lassie Singers auflegte und eine Flasche Birnenschnaps auf den Tisch stellte. So war das hier.

Jörg Haider kam nur in den Eröffnungsreden der Gewaltigen vom österreichischen Fernsehen vor. Dessen Intendanten sahen sich, nachdem es im Vorfeld zu einigen Irritationen gekommen war, genötigt, Stellung zu beziehen; schließlich organisiert der ORF das Festival. Haider hatte das Preisgeld des Preises des Landes Kärnten kurzerhand gestrichen (die österreichische Telekom war dann schnell eingesprungen, der Preis heißt jetzt Preis der Jury), und die Erben Ingeborg Bachmanns waren kurz davor gewesen, der Veranstaltung die Namensrechte zu entziehen. Also bezogen die Intendanten Stellung für das Festival. Dann war das abgehakt. Bis auf den Infoabend Klagenfurter Initiativen zur kulturpolitischen Lage, zu dem immerhin ein gutes Dutzend Festivalteilnehmer hinfanden. Fast rührend zu sehen, wie die Sprecher auf dem Podium ihre Wut mühsam im Zaum hielten, um die deutschen Besucher nicht durch Emotionen nerven, sondern durch Sachlichkeit überzeugen zu wollen. Und sie taten es. Außerhalb der Lesungen tobt, erfuhr man, ein Kulturkampf gegen die gewachsenen Initiativen-Strukturen und für das gesunde Volksempfinden. Das nahm man mit. Dann ging man wieder sich stark mit sich selbst beschäftigen.

So weit das Umfeld. Die Texte dieses Jahres, sagten alle alten Hasen, waren im Schnitt besser als in den Jahren zuvor. Und es gibt keinen Grund, daran Zweifel anzumelden. Die erfreulich geringe Anzahl von reinen Übungstexten hat mit einem unter der Hand vollzogenen Richtungswechsel des Festivals selber zu tun, das in den letzten Jahren ja vor allem als Gelegenheit zum Aufspüren junger Autorentalente funktionierte. Davon wollen sie jetzt wieder wegkommen. Es war eh nicht das ursprüngliche Ziel gewesen. Vielmehr – so die Lesart, auf die sich nun alle einigen – ist es den Organisatoren unterlaufen, weil nur noch solche Autoren das Risiko des öffentlichen Verrissenwerdens auf sich genommen haben, die etwas zu gewinnen hatten, einen Autorenvertrag nämlich. Sobald sie aber im sicheren Verlagshafen untergekommen waren, haben sie das Schaulesen gemieden.

Das sollte dieses Jahr unter einer neu zusammengesetzten Jury also anders werden. Immerhin drei von sieben Jurymitgliedern – Elisabeth Bronfen, Denis Scheck und Burkhard Spinnen neben den Altgedienten Ulrike Längle, Iris Radisch, Hardy Ruoss und Robert Schindel – machten zum ersten Mal mit. Sie alle hatten sich darauf verständigt, den Bekanntheitsgrad der eingeladenen Schriftsteller entschieden zu heben. So geschah es. Ausnahmslos alle Vorlesenden hatten bereits Buchverträge. Es lasen die noch jungen, aber schon bekannten Autoren Julia Franck, Georg M. Oswald und David Wagner. Es las (und wurde schließlich mit dem Hauptpreis prämiert) mit Georg Klein einer der von der Kritik meistgelobten Schriftsteller der letzten Jahre, der zudem, Klein ist Jahrgang 1953, bei den vorangegangenen Veranstaltungen den Altersdurchschnitt gehörig nach oben angehoben hätte.

Klagenfurt 2000: Ein Nachwuchsfestival war das nicht mehr. Was war es dann? Gute Frage. Dass selbstverständlich bald Begriffe wie Klassenfahrt oder Betriebsausflug fielen, sei geschenkt. Diese Art, sich über sich selbst lustig zu machen, gehört zur Veranstaltungstradition wie die Verletzungen beim samstäglichen Fußballspiel der Gäste gegen die Mitarbeiter des ORF. Und ohne in irgendeiner Weise die Bedeutung von Betriebsausflügen herunterspielen zu wollen: Darüber hinaus hätte Klagenfurt 2000 zu einer Standortbestimmung der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur werden können. Na ja, Standortbestimmung. Aber irgendetwas in die Richtung. Es wurde es nicht. Da war die Jury vor. Aus ihren Statements ließen sich Redewendungen aufschnappen wie: „die ganz große Leistung dieses Textes“ (Spinnen), „ein Schmuckkästchen voller Juwelen“ (Scheck), „eine Texterzeugungsmaschine“ (Längle) oder „Ich weiß überhaupt nicht, wo hier der literarische Gestaltungswille überhaupt ist“ (Radisch). Sentenzen zum Mitschreiben; wer weiß, auf welches Buch man sie noch einmal anwenden könnte! Aber in den allermeisten Fällen blieb es dabei auch.

Es gab zwei wichtige Ausnahmen: die Diskussionen nach den Lesungen von Martina Kieninger und Georg M. Oswald. Dass ausgerechnet diese beiden Autoren, bei denen man am schönsten nach Formulierungen gesucht (Kieninger) beziehungsweise am eingehendsten Dissenzen ausgetauscht hatte (Oswald), von den Juroren schließlich mit keinem der Preise ausgezeichnet wurden, gehört zu den Ereignissen, die man am besten in dem großen Ordner mit der Rubrik „merkwürdig“ abheftet. Martina Kieningers Erzählung „Die Leidensblume von Nattersheim“ ist einer dieser Texte, bei denen man beim ersten Hören nicht weiß, ob sie genial oder vielleicht auch dämlich sind, die man aber auf jeden Fall Lust hat sich noch einmal ganz genau anzusehen. Archaische Dorfmythen, Katholizismus und moderne Wissenschaft sind hier verwoben, und die in Uruguay als Chemikerin an der Universität arbeitende Martina Kieninger trug dazu beim Vorlesen ein Dirndl, ein hübscher culture clash.

Tja. Und Georg M. Oswald? Seine Geschichte – eine Erzählung aus dem modernen Angestelltenmilieu, Hauptfigur ist eine PR-Frau, der gerade gekündigt wurde – löste die einzige Grundsatzdebatte aus. Ist das nun ein „Alltagsbegleittext“ (Radisch) mit „geringem Literarisierungsgrad“ (Ruoss) oder ein „Zeichen für die Repolitisierung der Gegenwartsliteratur“ (Scheck) mit der Tendenz einer immanenten Kritik an der heutigen „Gesundheit zum Tod“ (Schindel)? Hier ging es zur Sache, denn es prallten verschiedene Ansichten, was ein Text zu haben und zu leisten habe, aufeinander. Bei Iris Radisch verfällt ja wohl alles, was dem Alltag verhaftet bleibt und keine eigene „Wildheit“ (Radisch) als Text erzeugt, dem Affirmationsverdikt, mit dem viele Kritiker weite Teile der jungen deutschen Literatur abstrafen: wild sein am Wörthersee. Dabei hätte es sich hier tatsächlich gelohnt, die Geschichte zumindest als Versuch zu würdigen, dem heutigen Alltag ohne literarische Aufgeregtheit nachzuspüren.

Na ja. Hätte. Ende Juli erscheint Oswalds Roman „Alles was zählt“. Dann kann man noch mal sehen. Immerhin wurde mit Julia Franck eine Vertreterin der neuen, gegenwartsbezogenen Autorengeneration ausgezeichnet. Die Berlinerin, Jahrgang 1970, erhielt den 3sat-Preis.

Die Verleihung des nach Ingeborg Bachmann benannten Hauptpreises an Georg Klein ist dagegen von einer erfrischenden Langweiligkeit. Wobei: Nichts dagegen auszusetzen. Natürlich war es, wie stets bei Klein, ein hochmerkwürdiger, hochartifizieller, hochmännlicher Text (bei jedem Satz denke er seine Geschlechtlichkeit mit, sagte Georg Klein in dem kleinen Filmporträt, das der Lesung vorausging) – na gut, ist die Bedeutung Georg Kleins in der Gegenwartsliteratur nun also gleichsam auch amtlich festgestellt. Nur wusste man das ja vorher schon.

Beim Preis der Jury für Susanne Riedel kommt man nicht umhin, den Abend vor der samstäglichen Lesung mitzudenken: Die älteren Jungs vom Literarischen Quartett hatten ihren aktuellen Roman ziemlich nassforsch gerupft – wer wird da nicht die Entscheidung aus Klagenfurt als Signal in Richtung MRR und Karasek lesen! Andreas Maier erhielt zudem den Ernst-Willner-Preis für sein hübsch im Konjunktiv erzähltes, durchaus amüsantes Prosastück „Diagnosestunde“.

Irgendwie will man es nicht schreiben und muss man es dann doch: Da klagen sie jahrelang über diese typischen Klagenfurttexte – literarisch hochgetunte und erzähltechnisch versierte Geschichten, die man aus irgendeinem Grund zwei Tage später schon wieder vergessen hat. Und dann tun sie so wenig dagegen.

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