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Das Gedächtnis beim Wort nehmen

Die Zukunft heißt „KreativKulturKaufhaus“: Knapp zwei Wochen vor dem genehmigten Abriss versuchen drei Künstler mit einer „Initiative zur Nutzung des Ahornblattes“ das fünfzackige Gebäude auf der Fischerinsel doch noch zu retten

Sie nehmen die Politik beim Wort. „Wir sind die ‚verantwortungsvollen Akteure‘, die Stadtentwicklungssenator Strieder fordert, und wir wollen genau wie Bundeskanzler Gerhard Schröder ‚Arbeitsplätze für Jugendliche zu unserer Chefsache‘ machen“, sagt Antonia Kapretz, Designstudentin der HdK.

Dann gibt sie das Mikro strahlend weiter an „Herrn Schmidt“, der den frierenden Zuhörern draußen vor dem Ahornblatt das Konzept des „KreativKulturKaufhaus“ vorstellt, mit dem das seltsame Gebäude vor dem Abriss gerettet werden soll. Die Abrissgegner stehen vor den Gittern, die den Zugang zu der fünfzackigen Halle verwehren.

Mit seiner kühnen Schalenbauweise stand die frühere Kantine auf der Fischerinsel einst für die Zukunftsfähigkeit des Sozialismus. Da müsste doch auch heute noch Zukunft drin sein, finden die Künstler der „Initiative zur Nutzung des Ahornblattes“. Im überwölbten Saal will Philipp Schmidt Uraufführungen junger Autoren herausbringen, Filme von Hochschulabsolventen zeigen und mit bisher unveröffentlichten Defa-Filmen der widersprüchlichen Geschichte jenes Staates gedenken, der auf der Fischerinsel vor dreißig Jahren mit Wohntürmen, Schwimmhalle und dem wie von einem fremden Stern gelandeten Ahornblatt eine Visitenkarte der sozialistischen Leitungen zu bauen versuchte.

„Außerdem verlangt der Charme des Gebäudes nach Tanztees“, ergänzt Schmidt und träumt von einer Glaswand zwischen Restaurant und Kulturbereich. Ein Kaufhaus für Kunst und Design soll sich anschließen und ein Gewerbezentrum, das mit Firmen für Werbung, Grafik und Buchhaltung den künstlerischen Komplex unterstützt. „Seminare für Existenzgründer“ schweben Ralf Bettermann, Kulturpädagoge und dritter Mann der Initiative, vor.

Alle drei haben das Gebäude im Vorbeifahren auf der achtspurigen Gertraudenstraße entdeckt. Wer mit Captain Kirk aufgewachsen ist, für den ist das Ahornblatt ein Grund zum Anhalten. Sein Konzept passt zu den futuristischen Versprechen der Architekturen von Ulrich Müther, der jetzt als eine Art Charles Wilp des Ostens wieder entdeckt wird. In Prora auf Rügen trafen sich vor kurzem 150 Architekten und Tragwerksplaner zu einem Kolloquium über seine Schalenbauten außerhalb der DDR. Er baute Planetarien in Wolfsburg und am Prenzlauer Berg und gab dem Fernsehturm am Alexanderplatz die Betonlandschaft zu seinen Füßen. Eine kleine Kopie des Ahornblattes steht in Libyens Hauptstadt Tripolis. Dorthin muss der Architekturhistoriker demnächst reisen, wenn der schon genehmigte Abriss (für den 17./18. Juli) nicht noch mal gekippt wird.

Den Beschluss aufzuhalten gelang nicht einmal der Architektenkammer, die Anfang des Jahres eine Resolution mit 700 Unterschriften gegen den Abriss eingereicht hatte. Zwar steht das Haus unter Denkmalschutz, aber auch diese Behörde kapitulierte vor dem „öffentlichen Interesse“ an der Verwertung des Grundstücks. Das Ahornblatt wurde von der Oberfinanzdirektion an die Objekt Marketing GmbH verkauft, die dahinter ein Hochhaus mit Wohnungen, Hotel und Büros bauen wollte. Doch mit dem Planwerk Innenstadt, das die „Wohnanlage am Wasser“ in attraktives Immobilieneigentum nahe dem Regierungszentrum umwandeln will, galten Blockrandbebauung und Normhöhe als neue Richtlinien. Da dem Investor eine bestimmte Geschossflächenzahl garantiert worden war, soll das Ahornblatt als Ausgleichsfläche herhalten. Selbst der Bezirk hat zugestimmt.

Für Kapretz, Schmidt und Bettermann ist der ökonomische Druck nur ein willfähriger Genosse des politischen Willens, der ehemaligen Hauptstadt der DDR ihre markanten Punkte zu nehmen. Geschichtsfeindlich finden sie das. Und wedeln mit einem Heft der Bauverwaltung, indem die Politiker selbst davon schreiben, wie wichtig der Erhalt des Gedächtnisses der Stadt ist. Wenn sie sich nur selbst beim Wort nehmen würden.

KATRIN BETTINA MÜLLER

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