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Spekulant bei Urban

Auf der Weltstädtekonferenz Urban 21 präsentiert sich die Viterra als nachhaltiges Wohnungsunternehmen. Doch die Mieter sehen das anders

von KNUT UNGER

Als größtes Wohnungsunternehmen der Bundesrepublik hat die Essener Viterra im vergangenen Jahr nicht nur den Sprung nach Berlin unternommen. Das Unternehmen mit seinen 125.000 Wohnungen – dazu kommen noch einmal Beteiligungen an weiteren 50.000 Wohnungen – lässt sich auch als Paradebeispiel an Nachhaltigkeit feiern.

Auf dem heute in Berlin beginnenden Weltstädtekongress Urban 21 präsentiert sich die Veba-Tochter auf dem Symposium „Perspektiven eines nachhaltigen Wohnungsmanagements“. Zugleich lädt die Viterra im Rahmen des Exkursionsprogramms von Urban 21 zu einem Besuch der Arbeitersiedlungen in Bottrop bei Essen und Herne ein. Das Thema hier ist der „sozialverträgliche Umgang mit städtebaulich und architektonisch wertvoller Altbausubstanz“.

Ganz anders dagegen wird die Praxis der Viterra auf der Gegenveranstaltung zur Urban 21, „Local Heroes“, bewertet. Hier wird die Essener Firma von Betroffenen als „größter Wohnraumspekulant Europas“ dargestellt.

Hintergrund der Kritik sind die Verdichtungsmaßnahmen der Viterra im Ruhrgebiet. Dort gehören dem Konzern ganze Stadtteile, darunter viele alte Zechensiedlungen mit Mietergärten. Doch in die Gärten sollen Tausende von Eigenheimen gebaut werden – alle nach dem gleichen Konzept. 1998 wurden 1.168 Eigenheime errichtet, bis 2002 sollen es 3000 sein. Viterra peilt damit einen Umsatz von einer Milliarde Mark an. Doch nicht alle wollen sich das gefallen lassen. Von Dortmund bis Oberhausen haben sich zahlreiche Mieterinitiativen gebildet.

Die Nachverdichtung, die bei Urban 21 als „integrierte Stadtteilentwicklung“ vorgestellt wird, ist jedoch nicht das einzige Geschäftsfeld der Viterra. Seit etwa zwei Jahren hat die Muttergesellschaft Veba erkannt, dass sich mit einer anderen Methode noch mehr Geld machen lässt. Alte Zechenhäuschen und neue Sozialwohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt und den Mietern zum Kauf angeboten – überteuert, zumal die Mieter ihre Häuser oft selbst modernisiert haben.

Aber der Vermieter spekuliert mit der Angst. Kaufen die Mieter nicht, können die Wohnungen nämlich auch an andere Eigentümer gehen, die selbst in den Siedlungen wohnen wollen. Wo die bisherigen Mieter durch Gesetze zeitweilig gegen Kündigungen geschützt sind, greift dann das „Mieter-Mobbing“ um sich. Nichts ist leichter, als einem Rentnerpaar die Lust am Bleiben zu vermiesen. So will Veba Rentner und Arbeitslose in den Kauf oder zum Auszug treiben.

Kein Wunder also, dass sich unter den Mietern der Widerstand formiert. Zum Beispiel in Gelsenkirchen-Hassel. 30 Mieter bilden den Kern einer Bürgerinitiative, die immer wieder Hunderte von Bewohnern mobilisiert. Das zeigt Wirkung. Unterstützt von Land und Stadt versucht die Initiative, eine Mietergenossenschaft zu gründen, die ihre Häuser übernimmt. Aber auch nach vielen Gesprächen ist die Viterra AG nicht bereit, mit dem Preis herunterzugehen.

Nach zahlreichen Kampagnen haben es die Mieter der Viterra inzwischen geschafft, die Praktiken des Konzerns in einem andern Licht erscheinen zu lassen. Doch die Aktionäre ließ das kalt. Nach der Fusion von Veba mit Viag zu E.ON soll das Umwandlungsgeschäft weiter ausgebaut werden – von derzeit etwa 3.000 auf bis zu 5.000 verkaufte Wohnungen im Jahr.

Die Viterra AG steht in den Startlöchern, noch mehr öffentliche Wohnungsunternehmen in anderen Bundesländern und in Berlin aufzukaufen und dann umzuwandeln – alles unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit. berichte SEITE 21

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