Händchenhalten für Technojünger

Der Berliner Verein Eclipse zieht von Rave zu Rave. Doch den ehrenamtlichen MitarbeiterInnen geht es nicht um Techno-Musik, sondern um Drogen. Sie bieten Usern Infos und psychedelische Krisenintervention an. Ohne den mahnenden Zeigefinger

von JULIA NAUMANN

Überall ist Musik. Dröhnende. Wummernde. Stöhnende. Hektische. Ein wabernder Klangteppich, der beim Überqueren des Areals alle 50 Meter wechselt. Ein Zusammenspiel der verschiedensten Musikrichtungen – deswegen der Name des viertägigen Open-Air-Raves „U.Site Fusion-Festival“, der jetzt schon zum vierten Mal in Mecklenburg-Vorpommern stattfindet.

Der ehemalige Flugplatz Rechlin/Lärz in der Nähe des Müritzsees hat sich in einen freakigen Jahrmarkt verwandelt. Schätzungsweise 8.000 Menschen sind hier am Wochenende vor der Love Parade auf dem größten norddeutschen Rave. Männer mit gelben und orange Sonnenbrillen und Hosen aus schwitzfestem Plastikstoff schlendern über den schon etwas braunen Rasen. In der einen Hand ein Joint, in der anderen eine Zigarette. Mitten auf dem Platz liegt selbstverloren eng umschlungen ein Pärchen.

Zwischen den Tanzflächen, auf denen Tag und Nacht die Leiber zucken, und den Ständen, an denen es fluoriszierende T-Shirts, Spacedrinks und Räucherstäbchen zu kaufen gibt, hat Eclipse e. V. eine Oase der Ruhe aufgebaut. In den Zelten hört man nur ein jammerndes Geräusch. Nebenan in einem mit Gras bewachsenen Hangar schaukeln Mädchen mit Blumen im Haar auf einem LKW-Reifen. Ein Mikrofon verstärkt ihr Gekreische und das Quietschen der Ketten.

Bei Eclipse dreht sich alles um Drogen, um den Rausch und das Entrauschende. Der Berliner Verein bietet „psychedelische Krisenintervention“ an. Dafür zieht er von Rave zu Rave. Die Love Parade, das größte Techno-Spektakel am kommenden Wochenende, lässt Eclipse aber aus. Den ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des Vereins, der keine Förderung bekommt, ist die Parade zu kommerziell.

In dem geräumigen Hauptzelt liegen Matratzen, Gewürztee brodelt in einem riesigen Topf. Eine von den Massen abgeschirmte, aber dennoch offene Atmosphäre. Relaxt hocken einige junge Männer auf alten Teppichen vor dem Zelt und plaudern leise. Eine Frau schläft in einer verrosteten Hollywoodschaukel. Sie hat einen erschöpften Gesichtsausdruck.

Doch die entspannende Stimmung wird immer wieder unterbrochen. Insbesondere nachts. Denn zum Eclipse-Bereich kommen all diejenigen, die zu viel genossen haben. Die Krämpfe in den Beinen haben oder wegen zuviel Ecstasy nur noch stoisch mit den Kiefern mahlen. Je länger ein Rave dauert, desto größer ist der Zulauf.

Manche wollen sich nur informieren. Wie Ecstasy wirkt, was Mushrooms sind oder ob Cannabis süchtig macht. Die Eclipse-MitarbeiterInnen arbeiten nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Wollen keine mahnenden SozialarbeiterInnen, sondern Teil der Szene sein. Die 18 Mitglieder und 20 FreundInnen, die an diesem Wochenende helfen, verfolgen aktzeptanzorientierte Drogenarbeit. „Wir spielen uns nicht als Experten auf“, beschreibt Psychologe Markus Hückelheim das Konzept. „Die Leute sollen sich selbständig ein Bild von dem Gebrauch der Drogen machen.“ Im Gegensatz zu einer normalen Drogenberatungstelle wollen sich die Eclipse-MitarbeiterInnen sich nicht von den Aufsuchenden abgrenzen, sondern sie an eigenen Erlebnissen teilhaben lassen. So haben die meisten selbst Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Drogen.

Und dass das Konzept bei den Ravern ankommt, ist offensichtlich. Die ganze Nacht über ist der niedrige Tisch im Eclipse-Zelt belagert. Dort liegen zahlreiche Drug-Infos aus. Bei Teeausschank beantwortet Frederik Luhmer mehr nebenbei zahlreiche Fragen. Viele wollen auch nur diskutieren, zum Beispiel über die Legalisierung von Cannabis und Ecstasy. Der 29-Jährige ist Diplompädagoge, Vater eines Säuglings und möchte seine Doktorarbeit zum Thema „Selbstmedikation mit Drogen“ schreiben. „Die Arbeit hier ist eine Schnittmenge von Politischem und Persönlichem“, sagt Luhmer, der mit Nickelbrille, Nasenring und langen Locken ein bisschen an einen Hippie aus den 70ern erinnert.

Politisch möchte er einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit Drogen voranbringen. „Pauschale Verbote bringen nichts“, ist Luhmer überzeugt. Repression würde Jugendliche nicht davon abbringen, Ecstasy zu schmeißen und Haschisch zu rauchen. Viel wichtiger sei es, den richtigen Umgang damit zu finden. Zu wissen, welche Drogen man nimmt und in welchen Maße und in welcher Qualität.

Im Umgang mit denen, die zu viel genommen haben, verhalten sich die Eclipse-MitarbeiterInnen sehr professionell. Neben den Eclipse-Zelten steht ein Rettungswagen des Roten Kreuzes. Das Erste-Hilfe-Team wird zu den einzelnen Bühnen gerufen, wenn jemand zusammengebrochen ist, Angstzustände hat oder zwischen den zuckenden Lichtern auf dem staubigen Boden orientierungslos herumirrt. An diesem Wochenende mussten sie zwischen 30- und 40-mal ausrücken, manchmal aber nur wegen einer Platzwunde. Ist der Zustand nicht lebensbedrohlich, werden die „Patienten“ an Eclipse übergeben. Deren Hilfe-Repertoire reicht von Mineraldrinks und kostenlosem Obst bis zu Massagen und beruhigenden Gesprächen. Anders als beim Roten Kreuz spielt in der Arbeit von Eclipse die Psyche eine bedeutende Rolle.

„Die meisten User gehen sehr vernünftig mit Drogen um“, hat Luhmer beobachtet. In diesem Jahr sei jedoch viel mehr Alkohol als früher getrunken worden. Zwei Drug-User mussten ins Krankenhaus. Sie hatten GHB genommen, auch als „Liquid Ecstasy“ bekannt. GHB ist ein Betäubungsmittel, das in geringen Dosen euphorisiert und in zu hohen bewusstlos macht.

Gegen Mitternacht stolpert ein ungefähr 18-Jähriger vor das Zelt. Auf seinen Plateau-Turnschuhen sieht er seltsam dürr aus. Er schwitzt stark, hat rot unterlaufene Augen. Redet abgehackt und wirr. Sofort sind zwei der Eclipse-MitarbeiterInnen bei ihm. Sie führen ihn in ein kleines, schwach beleuchtetes Zelt. Damit der Junge sich abreagiert, legt ihm eine Helferin beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Mit der Berührung soll Kontakt und ein Vertrauensverhältnis hergestellt werden“, sagt sie. Sie gibt ihm Wasser zu trinken, das er in einem Zug aussäuft, und fragt dann fast nebensächlich im Plauderton, was er denn genommen habe.

„Vier Pappen“, stottert der schmächtige Junge. Vier LSD-Trips in 24 Stunden – das ist extrem viel. Er sei mit seinen Kumpels aus einer Kleinstadt an der Küste gekommen und hat sofort losgelegt: Tanzen, Tanzen, ein Trip und noch ein Trip. Seit zwei Tagen habe er nicht geschlafen. Dann schreckt er plötzlich hoch. „Ich will kiffen“, stöhnt er. Die Eclipse-Mitarbeiterin sagt einfach nur: „Ich glaube, das tut dir jetzt nicht so gut, du musst mal runterkommen“, und der Joint ist kein Thema mehr.

Nach zwei Stunden hat der Junge sich stabilisiert. Er ist nicht mehr ganz so blass, redet wieder zusammenhängende Sätze. Auf den Matratzen will er nicht mehr liegen. Das ist seine freie Entscheidung. Die Mitarbeiterin entlässt ihn aus der kuscheligen dunklen Höhle in das blitzende wummernde Geschehen.

Infos im Netz: www.eclipse-online.de