piwik no script img

Es geht um Gefühle

■ Gemeinhin wird Mark Scheibe bezeichnet als Vertreter des orgiastischen Kindskopfismus. Demnächst veröffentlicht er seinen ersten Roman. Er wird auf der Breminale in einer Hörspielfassung zu hören/sehen sein

Mark Scheibes erster Roman heißt „Die Feinen Herren in Prag“. Unsere Prognose: Alle Bemühungen der Germanistikforschung, den Inhalt dieses 100-Seiten-Werks in Kürze wiederzugeben werden scheitern. Unser eigener Versuch musste nach 897 Seiten abgebrochen werden – wegen Erschöpfung. Erwarten Sie hier also keine stichhaltige Analyse. Sollten Sie aber in den letzten Monaten auf dieser Zeitungsseite auf zwei gewaltige Textmassive gestoßen sein, die Sie erst in den Irrsinn zu treiben drohten und dann lachend über den Boden kugeln ließen, so handelte es sich dabei um Vorabdrucke aus dem kopf-, aber keinesfalls hirn- und erst recht nicht herzlosen Roman.

Da das folgende Interview mit Mark Scheibe auf telepathischem Wege zustande kam und durch klimatische Interferenzen die Gedanken verweht wurden, kann es sein, dass die vorliegenden Antworten zum Teil nicht dem Geiste Herrn Scheibes, sondern einer vorbeifliegenden Brieftaube entspringen.

taz: Herr Scheibe, in einer Schlüsselszene wird eine Sexpuppe zu einem psychoanalytischen Bedeutungsträger. Welches Modell darf sich der Leser vorstellen?

Mark Scheibe: Mitnichten handelt es sich bei der vielschichtigen weiblichen Seele, die Sie hier wohl meinen, und die ich in meinem Roman in die Gestalt der beiden polnischen Cousinen Tila und Bianca manifestiert habe, um eine Sexpuppe, sondern um sehr begabte Tänzerinnen mit einem sympathischen Hang zum Leichtsinn.

Der Roman beeindruckt durch die rückhaltlose Ehrlichkeit, mit der Sie ihre Aktivitäten als Frauenmörder aufarbeiten. Ein schwieriger psychologischer Prozess?

Gewiss. Als Literat kann ich mir private Begehrlichkeiten nicht mehr leisten und sublimiere den drängenden Trieb in den schillernden Ozean meiner Kunst hinein.

Unschwer ist zu erkennen, dass der Text in der automatistischen Schreibweise der alten Surrealisten entstanden ist unter dem Einfluss von Zitronenbonbons und LSD. Haben Sie keine Angst vor Nachforschungen der Drogenfahndung?

Sie irren, meine Liebe. Zwar ist die simulierte Psychose nichts anderes als ein LSD-Rausch, ein Hort magischer Kraft und metalogischer Gesetzmäßigkeit, wie wir sie auch in meinem Roman vorfinden, doch beharre ich in aller Bescheidenheit darauf, beim Verfassen ausschließlich von mir selbst berauscht gewesen zu sein.

Sie selbst ermittelten, dass der in Schmuddelkreisen beliebte Buchstabe F 27.502 mal im Roman vorkommt, das mysteriöse X hingegen nur 956 mal. Welche Bedeutung messen Sie dem bei?

Der Buchstabe F in seiner Erscheinung gleicht einem Wesen, das, nach rechts, also dem Zukünftigen, dem Kommenden zugewandt ist, mit gleichsam offenen Armen, sich hingebungsvoll ergibt, also dem venusischen Archetyp, der Urkraft Frau. Es geht hier schließlich um Gefühle! Das Signum X hingegen mit seiner Gestalt gewordenen Verweigerung entspricht dem pervertierten Phänomen des vermännlichten Weibes, das sich mit dem Leistungsprinzip identifiziert. Die Gewichtung der beiden polaren Zeichen in meinem Roman gibt einen Hinweis auf die Weltanschauung des Autors.

Der Text steht in der Tradition von Lautreamont, dem Molly-Bloom-Monolog von Joyce' Ulysses und Fix und Foxi Band 147, dem Band mit dem Katzenjammer. Gibt es noch andere Väter (oder Mütter) des Gedankens?

Sicher hat Joyce bereits im frühen Stadium des vergangenen Jahrhunderts eine nicht unerhebliche Vorahnung formuliert; ich rate jedoch dringend davon ab, diese überzubewerten.

Warum Prag? Warum ist die Geschichte von den drei meuchelnden Musikern nicht im wunderschönen Spiekeroog oder Bersenbrück angesiedelt?

Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten. Auf der Suche nach einem geeigneten Handlungsort gefiel mir, als ich im Städteverzeichnis meines Atlanten blätterte, Prag am besten, weil es eine gewisse klangliche Nähe zu meinem Vornamen hat. Ich selbst war noch nie in Prag.

Ihr Roman entzückt vor allem wegen der Indiskretionen gegenüber Ihren Mitmusikern Fricke und Klüver. Wie zahlten die beiden Ihnen diesen Verrat heim?

Sie müssen zwischen echten Menschen und Figuren in der Literatur unterscheiden.

Eine Hörspielfassung gibt es schon. Wie könnte man sich die Verfilmung vorstellen?

Mein Verleger verpflichtet mich hier zu Verschwiegenheit, da über die Zweitverwertungsrechte bereits entschieden ist. Um jedoch zu einem werbestrategisch ungünstigen Zeitpunkt (vor der Buchpremiere) nicht die Pferde scheu zu machen, bitte ich den interessierten Leser um Geduld und einen gelegentlichen Blick auf die Website www.markscheibe.com.

Fragen: bk/Foto: Kay Michalak

Am Freitag auf der Weltbühne präsentiert Radio Bremen 2 die Hörspielfassung ab ca. 19.30 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen