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Der Feind als Kollege in der Fabrik

Die Gewerkschaften tun sich schwer mit den Zwangsarbeitern der Nazizeit. Spät haben die Spitzenfunktionäre das Thema aufgegriffen. An der Basis gibt es nur Einzelkämpfer. Zu einer Tagung der IG Metall kamen nur wenige, und die waren Experten

von PHILIPP GESSLER

Der bärtige Mann mit dem hochgekrempelten Hemd und den muskulösen Unterarmen lächelt nur. Um seine Beine sind Seile geschwungen, an denen kleine Militärs zerren. Sie wollen ihn niederwerfen: der winzige Preuße, der Engländer, der Italiener, der Franzose. Aber den Arbeiter, der vor rauchenden Schloten steht, kann nichts umhauen. Der starke Industriearbeiter aus dem 19. Jahrhundert zeugt von der Kraft der Gewerkschaften – aber heute, hier in der Bildungsstätte der IG Metall in Berlin-Pichelssee, gibt es ihn nur auf Papier. Wo ist die Kraft geblieben?

Offensichtlich kaum beim Thema „Zwangsarbeiterentschädigung und gewerkschaftliche Praxis“. Denn zu diesem Thema haben die Metaller ihre Kollegen aus ganz Deutschland an den schönen Pichelssee locken wollen. Gekommen sind nur etwa 20 und mehr als die Hälfte von ihnen sind Referenten. Das Thema ist „nicht vorne auf der gewerkschaftlichen Agenda“, sagt Jochen Kletzin, der Leiter der Bildungsstätte.

Dabei könnte das Schicksal der Zwangsarbeiter durchaus ein heißes Thema für die Gewerkschaften sein. Die etwa zehn Millionen Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkrieges aus den besetzten Gebieten nach Deutschland verschleppt und hier ausgebeutet wurden, waren unter anderem eines: Kollegen der deutschen Arbeiter. Zeitweise war jeder vierte Arbeitsplatz im Reich von diesen Ausländern besetzt, so der Historiker Manfred Grieger.

Die Arbeitswelt änderte sich für alle lohnabhängig Beschäftigten, ob Zwangsarbeiter, ob Deutscher – und für Letztere nicht nur zum Nachteil, wie der „Zwangsarbeiter“-Experte Grieger feststellt. Für die verbliebenen Deutschen in den Fabriken bedeutete der Zwangsarbeiter-Einsatz leicht einen Aufstieg: Sie wurden zu Vorarbeitern, die eine Gruppe Ausländer rumscheuchen konnten. Dabei, so Grieger weiter, waren die Ausgebeuteten oft so unterernährt und krank, „dass sie an der Werkbank zusammenbrachen“.

Der Tod kam zurück in die Fabrik. Nur sehr wenige waren ihren ausländischen Kollegen in proletarischer Sympathie verbunden – die meisten deutschen Arbeiter waren nicht interessiert daran, was mit ihren Zwangskollegen geschah. Manche prügelten die Zwangsarbeiter, andere bauten eine „funktionale Allianz“ zu ihnen auf, nach dem Motto: „Arbeite nicht zu viel, sonst werde ich überflüssig und komme an die Front.“ Kein Thema für die Gewerkschaften?

Für den gelernten Maschinenschlosser und studierten Literaturwissenschaftler Helmut Bauer schon. Der 57-Jährige war seit 1981 fünf Jahre lang Betriebsrat im Daimler-Benz-Werk in Untertürkheim. Als die Edelkarossen-Fabrik 1986 mit Hochglanz-Broschüren und dicken Firmengeschichten „100 Jahre Automobil“ und „100 Jahre Mercedes“ feierte, aber die Zwangsarbeiter nur am Rande erwähnte, fing er an, sich zu engagieren.

Er forschte nach der Geschichte der Zwangsarbeiter bei Daimler – seine Kollegen aber konnte er mit dieser Arbeit nicht begeistern. Auch deshalb schmiss er die Brocken hin und kündigte. Noch heute treibt ihn das Thema Zwangsarbeiter um. Jetzt dreht er Filme darüber. Vor allem über eine Gruppe von Zwangsarbeiterinnen in Genshagen bei Ludwigsfelde, nicht weit von Berlin. Die Gewerkschaften, meint er, täten sich immer noch schwer mit den Sklavenarbeitern von damals: Von 48 Betriebsräten der Daimler-Werke im Raum Stuttgart engagiere sich gerade mal ein einziger für das Thema Zwangsarbeiter.

Bislang sind nur 1,3 Prozent der Unternehmer der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung von Zwangsarbeitern beigetreten. Im Vergleich dazu stehen die Arbeitnehmervertreter noch ganz gut da, aber wie gut?

Klaus Hofmann aus Schweinfurt am Main ist seit 1992 Betriebsrat in einem großen Kugellager-Unternehmen, seit November ist er aktiv in einer Gruppe, die die Zwangsarbeitergeschichte in der bayerischen Stadt zu rekonstruieren versucht. Hofmann kennt die Stimmung in seinem Betrieb zum Thema „Zwangsarbeiter“: Seine Kollegen seien in der Regel „nicht aufgeschlossen“. Zwar könne man mit einer Reihe von ihnen „vernünftig reden“ – meist aber werde das Thema „möglichst vermieden“. Rassistische Reaktionen auf sein Engagement seien selten. Häufiger aber höre er Reaktionen wie „Jetzt muss endlich mal Schluss sein mit der Zahlerei“ oder „Das müssen wir wieder rausarbeiten“.

Kein Wunder, dass die Gewerkschaften sich nicht überaus beeilten, in der Zwangsarbeiter-Problematik aktiv zu werden. Doch der Gewerkschaftsspitze liegt das Thema mittlerweile am Herzen: Die IG Metall veröffentlichte in ihrer Mitgliederzeitschrift Anfang Januar eine Liste von 139 Firmen ihrer Branche, die Zwangsarbeiter hatten, aber bis dahin nicht in den Topf der Stiftungsinitiative gezahlt hatten – eine „Schandliste“, so wurde sie genannt.

Auch an der Basis regt sich einiges – doch bislang sind hier nur Einzelkämpfer aktiv. In den Klein- und Mittelbetrieben, so meint Chaja Boebel von der Bildungsstätte nach den Erfahrungen aus ihren Seminaren mit IG-Metallern, sei es schwierig, Interesse für das Thema zu gewinnen. Das liege auch an jenen Arbeitgebern, die Stimmung dagegen machten – mit dem Argument: Die Lage des Unternehmens sei so schlecht, dass jeder ihm schade, der sich nun für die Zwangsarbeiter-Entschädigung einsetze.

Michael Guggemos vom Vorstand der IG Metall will sich nicht damit zufrieden geben. Als Metaller ihm in der Bildungsstätte vorwarfen, die Gewerkschaftsleitung habe bisher in Sachen Zwangsarbeiter zu wenig getan, versprach er Besserung. Das Thema soll weiter diskutiert werden. Und: Eine weitere „Schandliste“ sei geplant.

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