: Balsam für wunde Fußballseelen
Auf dem Platz klappte es nicht mehr so gut mit dem deutschen Fußball. Dafür wurden die Spielzüge der WM-Bewerber immer besser. Dank leiser Töne
von MATTI LIESKE
Große Entscheidungen im Weltsport fallen erstaunlich häufig nicht so aus, wie es noch kurz vorher erwartet wurde, und sie tragen fast immer den Ruch des Dubiosen. So wird noch lange spekuliert werden, welche Art von Lobbyismus wohl die erstaunliche Trendwende bei der WM-Vergabe 2006 bewirkt hatte. Offensichtlich war gestern in Zürich, dass der knappe Sieg der zwar nicht sportlichen, aber wirtschaftlichen Fußballgroßmacht Deutschland über das fußballerische Entwicklungsland Südafrika eine gewisse Entgeisterung hervorrief.
Selbst DFB-Zugpferd Franz Beckenbauer wirkte betreten, als er ungeschickt versuchte, die Afrikaner damit zu trösten, dass ihr Kontinent irgendwann einmal sicher auch eine WM bekäme. Der Anflug von Scham wird jedoch nicht lange vorhalten bei den Europäern, denn immerhin ist es lange her, dass sie in der Fifa ein Bein auf die Erde bekamen. Zuletzt vor zwei Jahren mit ihrem Kandidaten Lennart Johansson bei der Wahl zum Fifa-Präsidenten gegen Joseph Blatter unterlegen, sahen sie sich zunehmend an die Wand gedrängt, obwohl ihnen ihrer Meinung nach die zentrale Rolle im Weltfußball zusteht.
In Europa wird das Geld verdient, hier spielen die besten Fußballer, hier sitzen die großen Fernsehmogule Berlusconi, Kirch, Murdoch. Nun schlug Europa mit geballter Wucht zurück und verwies die aufmüpfigen Newcomer, die sich nicht nur erdreisten, besser Fußball zu spielen, sondern auch ihr Stück vom Kuchen beanspruchen, an deren angestammten Platz am Ende des Tisches. Besonders der Triumph über Blatter, der offen Südafrika unterstützte, ist Balsam auf wunde europäische Funktionärsseelen.
Der Erfüllungsgehilfe der Mission war zwar der künftige Chef des Organisationskomitees, Franz Beckenbauer, doch zu den Drahtziehern der WM-Kampagne zählte alles, was Rang und Namen hat im deutschen Fußballbusiness. Der Architekt war Fedor Radmann (55), eine Art graue Eminenz der Bewerbung – immer dabei, selten zu sehen. Im Hause Adidas vom berüchtigten Firmenchef Horst Dassler in der Kunst der sportpolitischen Einflussnahme geschult, danach bei mehreren Sportvermarktern tätig, plante Koordinator Radmann sorgfältig Beckenbauers Schritte und sorgte vor allem dafür, dass die Fehler der Berliner Olympiabewerber vermieden wurden. Die waren überall plump mit der Tür ins Haus gefallen, Radmann bevorzugte die feinen Töne. „Wir drängen uns nicht auf“, lautete Beckenbauers erste Devise.
Je miserabler die Ballstafetten der deutschen Kicker auf dem Platz gerieten, desto vorzüglicher klappten die Spielzüge der WM-Bewerber. Die Springer-Presse wurde als Verbündeter eingeschworen, das Unternehmen Kirch wirkte bei der Erstellung der Bewerbungsunterlagen mit, Günter Netzer, beim gerade von Kirch geschluckten Sportvermarkter CWL angestellt, kam ebenso ins Boot wie Boris Becker.
„Keine Politik“, lautete früh ein Grundsatz der Kampagne, die Wiedervereinigungsnummer und ähnlicher Politkitsch, mit dem die Berliner auf die Nase fielen, blieben außen vor. Stattdessen wurden Goethe und Einstein, Bier und Sauerbraten bemüht, und vor allem betonte man, welch großartige Qualität die deutsche Kandidatur doch aufweise. Das klägliche Gezerre um die Stadionpläne in Berlin, München, Leipzig und anderswo ging im Ozean der Beckenbauer’schen Rhetorik unter, und auch das Hooliganproblem wurde einfach weggeredet. Niemandem fiel auf, dass eine erfolgreiche Hooliganbekämpfung durch Ausreiseverbote, wie bei der EM, wohl eher für ein Turnier in einem anderen Land spricht als für eines daheim.
Sogar auf die Begeisterung der Bevölkerung konnte man getrost verzichten. Während in Südafrika ein ganzes Land mit der Bewerbung fieberte, wurde sie in Deutschland zwar weithin befürwortet, aber in cooler Gelassenheit eher als eine Art Statussymbol betrachtet. Natürlich können wir uns das Turnier leisten, selbstverständlich steht es uns zu. Fünf Milliarden Mark soll die WM der hiesigen Volkswirtschaft nach den optimistischsten Prognosen bringen, blechen müssen die Steuerzahler für die Modernisierung der vermutlich zwölf WM-Stadien. Ein Effekt kann aber kaum hoch genug eingeschätzt werden: Das DFB-Team ist für die WM 2006 nunmehr automatisch qualifiziert.
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