: Der große Konsens
Technoproduzenten werden Kulturkritiker: Der „Menschund Maschine“-Kongress in der Akademie der Künste
Einmal mehr brachte es Matthias Roeingh auf den Punkt. „Ich finde es total wichtig, dass es Freiräume gibt.“ Damit gab der auch als Dr. Motte bekannte Ur-Raver dem „Music and Machine Award“, der am Donnerstag in der Akademie der Künste verliehen wurde, die rechte aphoristische Würze. Ansonsten wurde das Script der prototypischen Awardverleihung strikt eingehalten: Hübsches Moderatorenpärchen verliest die Laudatio, dann folgt ein lauter Trailer, anschließend gibt es den Pokal und ein zärtliches „I love you all“. Geehrt wurden solche, die sich um das „Movement“ verdient gemacht haben. Nur geweint hat keiner.
Es ist also so weit. Techno ist Establishment. Die Love Parade ist Nationalfeiertag geworden. Von der sozialwissenschaftlichen Diplomarbeit bis hin zur Szenebiografie nimmt der schreibende Klärungs- und Definitionsbedarf stetig zu. Selbst die Feuilletons sind voll davon. Und das Goethe-Institut verschickt Westbam als Kulturbotschafter. Allerhöchste Zeit also auch für einen ersten Kongress.
Die Musik und Maschine GmbH möchte eine „Plattform schaffen für interessierte und etablierte Figuren der Techno Community“. Jährlich sollen deshalb im Dunstkreis der Love Parade Messe, Kongress und Preisverleihung stattfinden. Der Termin garantiert immerhin die Anwesenheit von Prominenz: Jeff Mills, Richie Hawtin, Christian Vogel und andere fanden sich ein, um endlich einmal zu reden.
Also fiel man erst mal in die Sessel und plauderte über „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“. Und zwar ganz privat. Gerade mal sechzig Teilnehmer waren eingeladen worden – eine zweitägige Chill-out-Zone im sachlichen Ambiente der Akademie am Hanseatenweg. Und wie auf der Love Parade herrscht auch hier der große Konsens. Die neuen Distributionswege des Internets möchte man nutzen. Und endlich Geld verdienen. Wie etabliert die Strukturen sind, demonstriert die Ratlosigkeit im Angesicht einer neuer Generation von Techno-Kids, zu denen offensichtlich der Kontakt verloren gegangen ist. Wie das halt so ist, wenn eine Subkultur den Status arrivierter Zufriedenheit erreicht. Die Szene ist gealtert, Strukturen haben sich verfestigt. Das Line-up des Kongresses spiegelt die Partysituation: ewig gleiche Bookings seit 10 Jahren.
Keiner der hier Anwesenden ist unter dreißig. Und plötzlich werden Techno-Produzenten zu Kulturkritikern: In einer Welt, in der überall alles zu kaufen ist, so gibt man zu bedenken, verschwindet die Notwendigkeit für creativity und skills. Jeff Mills beklagte sich gar, die jungen Produzenten hätten die Musik aus der Musik entfernt. Meine Oma hat das auch schon gesagt.
Man fühlt sich wie bei der Krisensitzung des DFB: Lauter alte Männer beklagen sich über den Mangel an Nachwuchs und dessen Mangel an Respekt zugleich. Techno-Legende Jeff Mills und Tresormeister Dimitri Hegemann gaben den Delling und den Netzer. Fußball und Techno: deutsches Kulturgut.
Jedenfalls hat die eine Frage, die Hegemann den Schlaf raubt, nämlich warum Techno ausgerechnet in Deutschland so groß geworden ist, inzwischen ganz neue, geradezu hegemanniale Dimensionen bekommen. Denn wir haben nicht nur den Kongress und die Parade. Wir haben jetzt auch die Fußballweltmeisterschaft. SEBASTIAN HANDKE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen