: Und ewig funkt der Mitte-Boy
Im Wunderland der funky Mediendienstleister: Die Zeitschrift „Frontpage“, das einstige Zentralorgan von Techno, feiert unter der Ägide von Altmeister Jürgen Laarmann pünktlich zur Love Parade ein Comeback. Geplant sind vier Ausgaben pro Jahr
von CORNELIUS TITTEL
„Das Fachblatt. Der Mythos. Das Medium.“, heißt es im Intro der Comeback-Ausgabe von Frontpage. „Frei und kostenlos: das mit dem Kiosk war mal so ’ne Idee.“ Zugegeben eine, die grandios schief ging und doch nur eine von Hunderten. Jürgen Laarmann hat drei Jahre nach dem Frontpage-GAU wieder derart viele Ideen und Meinungen, dass nur eine Agentur die reibungslose Distribution laarmannscher „trends and comments“-Berichterstattung gewährleisten kann: Laarmann Wonderland.
Dabei sah es vor zwei, drei Jahren tatsächlich so aus, als sei Laarmanns Wunderland endgültig abgebrannt. Frontpage-Pleite, Ausstieg aus der Love-Parade-Organisation, Ärger mit der Steuer, gesundheitliche Probleme und Spanien-Exil. Die einzig verbliebene Option schien zu lauten: als Ex-Frontpage-Chef und Ex-Techno-Impresario von Zeit zu Zeit die einst belächelten Pamphlete upzudaten („Und sie raved doch!“) sowie als hauptberuflicher Zeitzeuge Ansprechpartner all jener zu werden, die nun, wo alles vorbei ist, wissen wollen, was es denn mit den Neunzigern so alles auf sich hatte. Traurige Aussichten.
Und nun dies: Laarmania auf allen Kanälen, 130.000 JL Frontpage-Exemplare, Boygroup-Fame (Berlin Mitte Boys), Kolumnenterror, Theaterstücke und Rowohlt-Vorschüsse. So lässt es sich leben, auch ohne ein eigenes Wachsbildnis im Haus der deutschen Geschichte – ein Verlorengeglaubter als sein eigenes Start-up-Unternehmen.
Being Jürgen Laarmann ist ein harter Job, der Mittags um eins funktioniert in etwa so: ein bisschen Red Bull trinken, den Chefblick gedankenverloren über retromodernistische Alexanderplatz-Architektur schweifen lassen und warten, bis das Telefon klingelt.
Helmut von der BZ ist dran, er hätte gerne ein vierseitiges Love-Parade-Special für Samstag.
Ob das klar gehe. Laarmann: „Kein Problem, so gut wie fertig. Die eigentliche Parade-Berichterstattung könnte ich dir auch schon liefern.“ Offensichtliche Irritation seitens Helmuts.
Laarman: „ Na ja, die Love Parade ist doch eh immer gleich. Und wenn bei No Ufos das Dach einstürzt und dreißig Leute draufgehen, könnte ich’s ja immer noch kurz umschreiben.“
So läuft das im Wonderland der funky Mediendienstleister – Spaß muss sein, und lange gefackelt wird schon gar nicht. Auch Helmut weiß das zu schätzen, weitere Fragen hat er nicht.
Genauso spontan wie Laarmann vier BZ-Seiten in seine Wochenplanung schiebt, so kurzfristig gingen er und Chefredakteurin Jacqueline Thomae auch den Relaunch der Frontpage an. Anfang Mai habe man selbst noch von nichts gewusst. Nachdem jedoch der Lloyd Verlag (u. a. 030) Interesse signalisiert habe, habe man das Ding in zwei Wochen geschrieben bzw. aus diversen www.jlfrontpage.de-Beiträgen zusammengesampelt. Motto des Ganzen: „Don’t be so fucking 90ies. The Beyond Techno A–Z.“
Fucking 90ies ist für Laarmann vor allem der verkrampfte Versuch, sich atomisierende Szenen durch das alleinige Hochhalten eines diffus gewordenen Club-Culture-Begriffs einen zu wollen: „Die gesamte DJ-Kultur ist verdammt 90ies. Früher hat man sich ja noch über jeden gefreut, der elektronische Musik produziert hat, oder wenn sich die Teilnehmerzahl der Love Parade verdoppelte. Die ganze Szene krankt ja momentan daran, dass sich immer weniger Leute darüber definieren. Es gibt heute neben Musik so unglaublich viele verschiedene Möglichkeiten, seine Zeit rumzukriegen. Das ist die große Veränderung, mit der wir auch journalistisch umzugehen haben.“
Insofern sei die Ur-Frontpage damals zu Recht vom Markt verschwunden, weil sie in dieser Form nicht mehr benötigt wurde. „Wenn ich mir vorstelle, wir hätten sie damals nicht in den Sand gesetzt und einfach weitergemacht: Was wäre das für ein elendes Leben gewesen! Diese Kultur immer weiter hochzuhalten und wieder irgendeinen DJ für superhip zu erklären.“
Beyond Techno bedeutet nun nicht, dass Techno für Laarman kein Thema mehr ist. Nur ist die Art und Weise, wie seine Folgen und Riten in JL Frontpage verhandelt werden, definitiv kein Techno-Journalismus mehr. Als Feuilletonist Berlin-Mittes ist ihm die Gentrifizierung seines Stadtteils („Munification“) genauso untersuchenswert wie die opportunistische Ranschmeiße Berliner Lokalpolitiker an das zunehmend selbstherrlich und kritikresistent auftretende Love-Parade-Komitee. Ob er die „Eternal Rules of Nightlife“ – so der Titel seines demnächst bei Rowohlt erscheinenden Werkes – durchleuchtet oder sich Gedanken über neueste Trends auf dem Drogensektor macht: Selten bis nie verschenkt Laarmann eine Pointe. Dem „Entertain Me!“-Postulat der älter gewordenen Klientel wird in full effect Genüge geleistet, Zielgruppenkonflikte wie bei der Ur-Frontpage scheint es keine mehr zu geben.
Und Laarmann wäre nicht Laarmann, würde bei all dem Spaß nicht der eine oder andere reflektiert-abseitige Gedanke abfallen, den man selbst schon immer gerne gehabt hätte. Vielleicht werden sich ja schon bald Medien- und Kulturwissenschaftler fragen, ob nicht Laarmann den unaufhaltsamen Niedergang des SZ-Magazins (auch irgendwie fucking 90ies) hätte stoppen können.
Zuzutrauen wäre ihm alles. Vorerst wird er jedoch weiter auf Anrufe warten, leere Red-Bull-Dosen (90ies?) zerknüllen, schnell noch ein Buch fertig schreiben oder repräsentative Umfragen nach dem besten Schwertfisch-Carpaccio Berlin-Mittes starten. Hauptsache, es bleibt genug Zeit, um 4 JL Frontpage-Ausgaben pro Jahr rauszuhauen.
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