Rubbel den Schinken!

Neues aus Expo- und Schröderland: Wir leben „Im Land der Sinne“, und das heißt „Deutschland. Der pure Genuß.“ Wieso haben wir das bislang noch nicht gemerkt?

Schrödern ist die Berufsbezeichnung für aufdringliches Kleiner-Mann-ganz-groß-Gehabe, für permanentes Als-ob, für die Reduktion auf PR. Wer zu Restaurants „Restos“ sagt, schrödert gut. Zweimal habe ich das schon von Leuten gehört, die ich eigentlich gern mag, aber „Restos“ – das macht mich fast restlos fertig. Nur mit Extremschrödern ist zu erklären, was einem aus einer Speisewagenbroschüre entgegenschlägt, die gemeinsam von Bundesbahn, Mitropa, Expo und der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) herausgegeben wird. Der Titel heißt „Im Land der Sinne.“

In Fällen offensichtlichen Wahns pflegte meine Großmutter zu sagen: „Du kriegst die Tür nicht zu.“ Doch die Werbeschreiber können noch viel lauter schrödern: „Deutschland. Der pure Genuß.“ Jetzt steht Ommas Tür sperrangelweit offen. Nachgelegt wird mit einer Aufforderung zur Selbstverstümmelung: „Entdecken Sie den puren Genuß deutscher Küche im Mitropa-Bord-Restaurant.“

Einer der Höhepunkte des Selbstlobheftchens ist ein Preisausschreiben. „Gewinnen und genießen“ heißt das; unter zwei überirdisch leuchtenden Äpfeln steht „Hier rubbeln und schnuppern. Erkennen Sie den Duft? Der Duft. Der pure Genuß.“ Wenn man mit dem Fingernagel über das Apfelbild kratzt, riecht es apfelig, ungefähr so wie Apfelshampoo, die Geißel der Siebzigerjahre. Umseitig darf man die richtige Lösung ankreuzen: „Der pure Genuß riecht nach a) frischem Roggenbrot, b) knackigem Apfel oder c) Schwarzwälder Schinken.“

So viel zum Vertrauen in die Olfaktorik der Teilnehmer, die als Hauptpreis für eine Woche auf einen Bauernhof verklappt werden oder, wenn sie richtig Pech haben, zwei Eintrittskarten zur Expo gewinnen. Ich habe den Schwarzwälder Schinken angekreuzt und bin damit hoffentlich aus dem Schneider.

Das angeberhafte Ausstellen der eigenen tatsächlichen oder angeblichen Genussfähigkeit wird Bürgerpflicht, wird Zwang. Überall im Land sitzen und stehen sie herum und schrödern: „Aaaah“ und „Ooooh“ und „Uuuuh“. Das „Land der Sinne“ ist das Land der Simulanten. Zugunsten seines Sponsors Beck’s behauptet der bekennende Schröder-Fan Westernhagen: „Ein Beck’s säuft man nicht, man genießt es.“ Das soll er mal den Jungs auf der Parkbank erzählen.

Genießen, Genuss, genossen – man kann die Wörter nicht mehr hören, und sagen oder schreiben schon gar nicht, sie sind Werbersprache und damit tot, wie auch Sinn, Sinne und Sinnlichkeit auf den Index der zu vermeidenden Wörter gewandert sind durch inflationären, euphemistischen Gebrauch.

Björn Engholm sah und hörte ich im Dezember 1998 mit Edda Seiffert von der PDS in den Hackeschen Höfen in Berlin über das Thema „Sinn und Sinnlichkeit“ quakeln. Engholm suckelte an seiner Stinkepfeife herum, Seiffert stellte neckische Fragen, und beide suggerierten dem Publikum, sie hätten etwas miteinander. Die Pickel, die man von solchen Leuten kriegen kann – sind die eigentlich auch sinnlich?

Die Reise durch das „Land der Sinne“ in der Bundesbahn geht weiter. „Essen ist Lust, Kochen ist Liebe“, posaunt die Broschüre weitere Flachheiten aus. Sieben Köche der „Jeunes Restaurateurs“ haben nicht nur „Talent und Passion“ geflaggt, sondern auch „diese Mitropa-Menüauswahl komponiert“ und sind „ ‚Kochpate‘ der regionalen Spezialitäten“. So weich gezeichnet wurden sie, als hätte das der Food-Fotograf erledigt, denn Essen im Resto heißt Food. Einer hat sich sogar einen riesigen Fisch um den Hals gelegt. So was passiert, wenn Ehrgeiz das – soweit vorhandene – Stilempfinden ausschaltet und der Michelin-Stern, der Mercedes für Köche, zur fixen Idee wird.

„Deutschland. Der pure Genuß.“ Es klingt wie eine Drohung. Man muss sich nur ansehen, wie die Landsleute jubeln, wenn sie denn was zu jubeln haben: von Freude keine Spur. Es ist die reine Aggression. Auf dem von ihnen nur unter Druck eingeschlagenen Weg in Richtung Zivilisiertheit sind die Deutschen dringend auf Hilfe von außen angewiesen. Das Schrödern aber, das Sich-aufmandeln im großklappigen PR-Jargon, offenbart prachtvoll nur das Ausmaß germanischer Finsternis.WIGLAF DROSTE

Hinweis:Überall im Land sitzen sie herum und schrödern: „Aaaah“ und „Ooooh“ und „Uuuuh“