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Deconstructing Love Parade

Bürger, lass das Gaffen sein, komm herunter, reih dich ein! Aus aktuellem Anlass empfehlen wir sechs oder sieben Dinge, die beim Berliner Techno-Umzug unverzichtbar sind: Der taz-shop

Auf der letzten Love Parade auf dem Ku’damm, als es so heiß war, sah ich mein erstes Bauchnabelpiercing. Kurz guckte ich, weil das Piercing als Schmuckstück den Blick auf das Bäuchlein lenkte. Dann ging der Blick wieder nach oben, wo die Gesichter sind. Man trieb ja eh in der Masse der Körper und Gesichter. Das ging so Wong-Kar-Wai-mäßig wie oft auf der Love Parade, als sie noch laut war und man inmitten der Musik stand und eben oft am Rande des Blickfelds Bauchnabelpiercings sah.

Das hat auch nicht viel mit Sex zu tun; auch nicht im Gegenteil: Es ist so ein Accessoire junger Mädchen, das keinerlei tiefere Bedeutung hat. Die Mädchen lassen sich eben Bauchnabelpiercings machen, wissen selbst wahrscheinlich nicht, warum, und lachen, weil sie jung sind. In Kombination mit dem oft leicht gewölbten, strammen Bäuchlein unterm quietschbunten Top sieht es rührend aus. Bevor ich die Love Parade entdeckte, wusste ich gar nicht, dass junge Mädchen tatsächlich so aussehen wie in der Bravo. DETLEF KUHLBRODT

Das offizielle Love-Parade-T-Shirt ist ihr zu groß. Aber Jenny, 19 und Model aus Berlin, favorisiert laut Presse-Info ohnehin das „Spaghetti-Girlie-Top in der Trendfarbe Pink“ aus der offiziellen Love-Parade-Kollektion der Firma Sunburst, zu der auch „ein cooles Kopftuch für zehn Mark“ und die „absolut technotaugliche Weste aus Micro-Polyester für 75 Mark“ gehören. Diese Kleidungsstücke sind sehr schön. Aber auf der Parade wird man sie nicht sehen. Es ist wie mit Handy-Klingeltönen: Die Million Menschen legen selbstverständlich großen Wert darauf, nicht alle das Gleiche zu tragen.

Als ich zum ersten Mal auf der Love Parade war, trug ich ein gerade aus der Mode gekommenes anthrazitfarbenes Sakko und eine silberne Krawatte aus Micro-Polyester von H & M für 29 Mark 80. Es war zu heiß dafür an diesem Tag, aber ich zehrte lange von meinem „streitbaren Einsatz“ (Walter Jens) für den Individualismus. Unlängst wurde ich jedoch in meine Schranken verwiesen. Ich erklärte meinem mit Jugendkultur vertrauten Redaktionskollegen B., dass ich mir ein T-Shirt der Böhsen Onkelz wünschte, um es auf Veranstaltungen des Literaturbetriebs zu tragen. „Das ist kein Pop“, sagte B. – Mich würde interessieren, was Jenny von Sunburst dazu sagt. KOLJA MENSING

Vorletztes Jahr sah ich bei der Love Parade, wie eine atemlose, mit ein paar „lustigen Zöpfchen“ im Haar notdürftig verkleidete Reporterin zwei Touristinnen interviewte. Die beiden schienen sich als Wald-und-Wiesenhexen verkleidet zu haben: um die Hüften ein ganzes Nest aus Ästen und Schlingpflanzen, die Gesichter moosbewachsen, die Haare wirr mit Blättern zerzaust. Es war in jenem Jahr feucht und regnerisch, darum lief das Moosige von den Gesichtern über die Körper, und die Brille der einen glitschte fast von der glänzenden Nase. „Mir dachte, das Wädda wär net so beschisse“, murmelte eine der beiden wie eine traurige hessische Sumpfkuh in das Mikrofon. Wenn heute jedoch die Sonne scheint, dann kommen sie wieder alle in Blümchenbikinis.

Aber nicht in echten, kratzigen, von zarten Freundinnenhänden an langen Fernsehabenden selbst gestrickten, so wie dieses wunderschöne Exemplar mit den Knospen auf den Knospen, das sich außer zum Aus-der-Torte-Springen noch hervorragend zum langsamen Aufribbeln eignet. Sondern in diesen doofen gekauften, mit „Rave“-oder „Love“-Aufdruck. Pfui. JENNI ZYLKA

Ohne Trillerpfeife geht auf einem vernünftigen Rave nur wenig. Aus ganz banalen Gründen. Zum Beispiel, um von der Tanzfläche aus mit der DJ-Kanzel zu kommunizieren und dem DJ dort Ansagen durchzugeben wie „weiter so“, „super“, oder „noch mal so viel Bass“. Vor allem aber, weil es nur wenige Instrumente gibt, die so kongenial körperliche Erschöpfungszustände in adäquate Töne umsetzen können wie die Trillerpfeife. Dies ist das Pfeifen der Lungenflügel. Durchdringend, markerschütternd und gleichzeitig gnadenlos euphorisiert. Der Pfiff aus der Trillerpfeife übersetzt die drogengestützte Überanstrengung des Körpers auf der Tanzfläche in einen Ruf nach mehr. Rave on! TOBIAS RAPP

Der Müll, die Stadt und die Dose – seit der letzten Love Parade auf dem Ku’damm gehört dieses Begriffspaar untrennbar zusammen, wenn über den allsommerlichen Techno-Tag X geredet wird. Aber das gegen alle Pfandregeln unter der Hand frei verkaufte Dosenbier ist nicht nur ein ökologisches Desaster – es ist auch ein Zeichen für die Ankunft des Techno-Umzugs in der Mitte der Gesellschaft.

Wenn sich heute Nachmittag im Tiergarten die schweren Techno-Trucks in Bewegung setzen, dann werden patente Familienväter schon im Unterhemd am Brandenburger Tor stehen und Bratwürstchen grillen, und angehende BWL-Studenten werden versuchen, ihre gehorteten Paletten unters Volk zu bringen. Denn Dosenbier ist bei durstigen Ravern aus aller Welt weit populärer als Ecstasy-Pillen und Energy-Drinks zusammen. Und was vor zwölf Jahren aus einer Sponti-Idee geboren wurde, ist heute ein generationsübergreifendes, gesamtdeutsches Volksfest. DANIEL BAX

Überall diese halb bekleideten Leiber in unerträglicher Enge und Hitze auf der Love Parade: Da möchte man doch, da muss man doch eigentlich, also, ich habe mir jedenfalls eine Wasserpistole gekauft. Gehört ja dazu. Muss man doch dabeihaben. Wegen der Abkühlung.

Obwohl die ordinäre Wasserpistole, die eigentlich Wasserspritzpistole heißt, seit Jahren total out ist. Wer etwas auf sich hält, benützt mindestens eine Pumpgun, da geht mehr Wasser rein, und der Druck ist höher: Reichweite bis zu 20 Meter!

Am besten jedoch: die Spacegun. Freunde der Orgonomie kennen die Spacegun als Kombination von Cloudbuster und ORUR zur Bekämpfung von Ea. Die auf der Love Parade eingesetzte Spacegun zeichnet sich – viel simpler – durch ihren quasi unbegrenzten Wasservorrat aus, der, festgeschnallt auf dem Rücken wie die Sauerstoffflasche eines Tauchers, fortgesetztes Abspritzen den ganzen Tag über ermöglicht.

Das hat natürlich, wie alles auf der Love Parade, überhaupt nichts mit Sex zu tun. Sondern mit Spaß. STEFAN KUZMANY

Den Berliner erkennt man ja angeblich daran, dass er den Wahrzeichen seiner Stadt Kosenamen gibt. So soll er die Gedächtniskirche „hohlen Zahn“ nennen, und die Siegessäule „Goldelse“. Wenn dem so ist, dann verwandelt sich die flotte Goldelse am Love-Parade-Samstag jedenfalls in einen respektablen Goldesel.

Wenn DJs und Veranstalter oben auf der Siegessäule stehen, dann brauchen sie keine stimmungsaufhellenden Hilfsmittel mehr. Macht, Herrschaft und Kontrolle, das bringt die Synapsen auch so zum Schwingen. Für die, die oben stehen, ist das Ganze mit echtem Glanz überzogen. Denn jeder Raver, der unten rumhüpft, ist ein kleines Sümmchen mehr auf dem Konto. Und der Weltfrieden macht mit goldener Kreditkarte einfach mehr Spaß. HEIKE BLÜMNER

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