: Samba, Mord und Erleuchtung
■ Genets „Zofen“ als Analyse der Dienstleistungsgesellschaft
Viele Offiziere der Bundeswehr glauben, dass der Kaffeeautomat ihrer Kaserne nur schäumende Getränke zu liefern vermag, und nur wenigen wird je bewusst, dass dieses Phänomen keine technische, sondern eine soziologische Ursache hat: Das beim „Spieß“ beliebte Demütigungsritual, die Rekruten Kaffeeholen zu schicken, wird von diesen gern mit der unerwünschten Absonderung von Speichel vergolten. Wir sollen wieder Dienen lernen, sagen uns die Apostel der Dienstleistungsgesellschaft.
Aber ist solch eine soziale Regression noch möglich? Galten vor der Großen Revolution von 1789 Domestiken generell als verächtliche Gestalten, so mischen sich seither Zweifel in die Überlegenheitsgefühle der Herrschaften. Weniger die Moral der Menschenrechtserklärung als die Angst vor der Guillotine haben die Beziehung zwischen Herr und Knecht verändert. Jean Genet versteht es in seinem Stück Die Zofen von 1947, die Unterdrückung aus der Sicht der Geknechteten darzustellen. Genet, der „Komödiant und Märtyrer“, so sein Freund Sartre, kannte deren Leiden aus eigener Erfahrung als Waise, Häftling und Fremdenlegionär.
Die Zofen leben in einer Welt der Träume von Flucht und Glück, aber auch vom Rollentausch mit ihrer Herrin. Die Inszenierung des deutsch-brasilianischen Teatro Imediato im Monsun-Theater bringt ein weiteres Element hinzu: Den Karneval – und das so gelungen, dass sich der Zuschauer geradewegs nach Rio versetzt fühlt. Die Funktion des Karnevals als Katharsis der kleinen Leute wird in die Mordpläne der Zofen hineingewoben. Das komödiantisch-fröhliche Zofenduo (Silke Mühlenstedt und Cecilia Amado) zeigt feinfühlig die Verwerfungen ihrer Beziehung unter dem Druck der Knechtschaft. Die Intensität ihrer Freundschaft überstrahlt jedoch zuweilen das lauernde Böse im Blick der unterwürfigen Domestiken.
Christian Bruhn in der Rolle der Gnädigen Frau gibt eher eine fins-tere Gestalt aus dem Universum Genets. Achtlos benutzt die Herrin ihre Zofen als Möbelstücke und gibt sich ihrer falschen Zuneigung hin. Voller Selbstmitleid sieht sie sich als Wohltäterin, deren Güte im Überlassen abgelegter Kleider gipfelt. Ohne die Heuchelei der Dienerinnen wirklich zu durchschauen, scheint jedoch Misstrauen in ihr aufzuflackern, Paranoia, die sie schlafwandlerisch den Mordan-schlägen der beiden Zofen entgehen lässt.
Neben Samba, Mord und Erleuchtung zeigt das Stück also auch Einsamkeit, Ausbeutung und Widerstand und versucht sich so an einer Analyse der künftigen Dienstleistungsgesellschaft.
Thomas Barth
weitere Vorstellungen: 13. bis 16. Juli sowie 18., 19., 20., 24., 26. und 27. August, jeweils 20 Uhr, Monsuntheater, Friedesnsallee 20.
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