: Ein Haider kommt selten allein
Überall in Europa profitiert die extreme Rechte von den Globalisierungsängsten der Menschen. Eine Tagung der Amadeu Antonio Stiftung versuchte in Berlin eine Bestandsaufnahme und suchte nach zivilen Strategien gegen den völkischen Trend
von URSULA TRÜPER
Jörg Haider ist kein österreichischer Betriebsunfall. Seine FPÖ ist europaweit lediglich die erfolgreichste rechtspopulistische Partei, die auch in anderen Ländern der Europäischen Union völkische Bewegungen stärken könnte. Denn eine zunehmende „rechtspopulistische Versuchung“, so der Straßburger Politikwissenschaftler Patrick Moreau, lässt sich überall in Europa beobachten.
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser Tendenzen zu analysieren, war am Wochenende das Ziel einer Tagung der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin: „Ein Haider kommt selten allein – zivile Strategien gegen völkische Tendenzen in Europa.“
Die Berichte der Referenten aus Frankreich, Österreich, Dänemark, Polen, Spanien, Italien und Großbritannien zeigten: Die extreme Rechte wird vor allem dort stark, wo die etablierten Parteien keine Antworten auf die Ängste der Menschen liefern, die im Prozess der Globalisierung entstehen. Die Zunahme der internationalen Kriminalität, die Unsicherheit der Arbeitsplätze und Auflösung der familiären Bindungen, die Verslumung der Städte und die massive Einwanderung von Arbeitskräften aus Osteuropa und der Dritten Welt – all das verunsichert.
Rechtspopulisten liefern mit ihren einfachen Antworten Orientierung. Vor allem in den ehemaligen sozialdemokratischen oder kommunistischen Arbeitermilieus. Moreau wies darauf hin, dass derzeit über alle organisatorischen Zersplitterungen hinweg eine „Eurorechte“ entsteht.
Was begünstigte die „Verhaiderung“ österreichischen Republik ? Melita Šunjić, Publizistin aus Wien, wies auf ein paar Besonderheiten hin: Das Land habe nie Trauerarbeit über seine NS-Vergangenheit geleistet, sondern sich stets als „erstes Opfer des Faschismus“ begriffen. Gleichzeitig verhinderte die jahrzehntelange Herrschaft der großen Koalition das Austragen von politschen Konflikten. Vor diesem Hintergrund sei es für Haider leicht gewesen, als Anwalt der „kleinen Leute“ aufzutreten. Die SPÖ hätten versucht, der FPÖ Stimmen wegzunehmen, indem sie rechtspopulisitsche Positionenen vertraten. Damit machte sie zwar rechtspopulisitsche Positionen salonfähig, die Wähler entschieden sich dann aber im Endeffekt doch lieber für das Original.
Dass auch die Politik der EU Rechtspopulismus fördern kann, zeigt das Beispiel Spanien. Dort, so der Soziologe Carlos Pereda, gab es bis zu Beginn der 90er-Jahre keine Ausländerfeindlichkeit.
Ausländer, das waren Touristen, die eher mit Neugier aufgenommen wurden. Erst mit dem Schengener Abkommen, das Spanien zur Abwehr von illegalen Einwanderern aus Nordafrika verpflichtete, entwickelte sich in Spanien eine militante Ausländerfeindlichkeit. Im Februar entlud sie sich in Südspanien in einem regelrechten Pogrom gegen Marokkaner.
Deutschland wiederum, so Annette Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung, ist in der besonderen Situation, dass es im Westen aus einer entwickelten westeuropäischen Demokratie besteht und im Osten aus einer postkommunistischen Gesellschaft in Transformation. Zwei Teile, die auch noch eine Geschichte teilen. Während im Westen ein Wohlstandschauvinismus vorherrscht, zum Beispiel durch die DVU verkörpert, hat sich im Osten Deutschlands eine völkische Alltagskultur etabliert. Dies zeigt sich in den so genannten national befreiten Zonen, in denen ganze Stadtviertel oder Regionen von rechten Jugendlichen kontrolliert werden – unter stillschweigender Billigung der Erwachsenen.
Dies sei die zentrale Herausforderungen, der sich die lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen stellen müssen, so Kahane. Dabei könne man allerdings nicht auf schnelle Ergebnisse hoffen.
Denn der Versuch, „den öffentlichen Diskursraum“ zu erobern, sei ein äußerst langwieriger Prozess. Vor allem die Rolle des Staates sei dabei eine höchst widersprüchlicher. Einerseits unterstützten die staatlichen Behörden die antirassistischen und demokratischen Initiativen, andererseits versuchten sie, deren Arbeit zu kontrollieren oder gar, wenn ihnen das Ergebnis nicht passt, zu unterbinden.
Kahane beklagte, dass noch immer viele Politiker die „Nestbeschmutzung“, also die Aufdeckung rechtsradikaler Tendenzen für das Problem hielten und nicht den Rechtsradikalismus selbst. Typisch für diese Haltung war der Bericht eines Tagungsteilnehmers aus seiner Heimatstadt Werdau. Dort hatten Jugendliche mit staatlichen Fördergeldern eine Ausstellung über rechtsradikale Tendenzen in der Region erarbeitet. Als die dann fertig war, weigerte sich die Stadt, sie im Rathaus zu präsentieren.
Hinweis:Den Rechten den öffentlichen Diskursraum streitig zu machen, ist ein langer Prozess. Die Rolle des Staates ist widersprüchlich
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