: „Ganz schön dunkel hier“
■ Im Cafe UNSICHT-bar in Bremerhaven ist es komplett dunkel / Sehende können sich dort für kurze Zeit in die Welt der Blinden versetzen / Wissend, dass es vorüber geht
„Hallo, sitzt mir da vielleicht jemand gegenüber?“ „Mist, ich kann meinen Kaffee nicht mehr finden!“ „Mann, ist das hier vielleicht dunkel.“ Die Stimmen scheinen von überall her zu kommen, die Münder dazu lassen sich nur schwer orten. Irgendwo klappert Geschirr, ab und zu fühlt man einen Windhauch, wenn wieder mal jemand unbemerkt an einem vorbeigerauscht ist. Ein Kind heult am anderen Ende des Raumes, es hat sich mutig vom Tisch entfernt und natürlich gleich auf die Nase gelegt. Es ist vollkommen finster im „Cafe UNSICHT-bar“ in Bremerhaven – nicht ohne Grund: Hier sollen Sehende die Erfahrung eines Blinden machen.
Im Dunkeln bestellen, im Dunkeln die heiße Kaffeetasse ohne großes Malheur leeren, im Dunkeln bezahlen und sich ohne das hilfreiche Gestikulieren mit Menschen unterhalten, von denen man nur die Stimme mitbekommt. „Ich bin ja so froh, dass ich weiß, in zehn Minuten ist es wieder hell“, hört man Jennifer Beenen aus dem Nichts – irgendwo rechts. Das düstere Kaffeekränzchen ist ein Gemeinschafts-Projekt des Blinden- und Sehbehindertenvereins Bremen und der Phänomenta Bremerhaven.
„Drei neue Besucher! Sind noch Plätze da?“, brüllt Jürgen in den Raum. Kurze Zeit später führt der Blinde die Neuankömmlinge durch die zwei Lichtschleusen in das Cafe. „Haltet euch schön an mir fest und habt keine Angst. Ich führe euch. So, hier kommt der Stuhl, kannst du ihn fühlen?“ Ein schüchternes Lachen der Neuen, danach unsicheres Rumrutschen auf der Sitzfläche. Beklemmende Stille. Zwei Minuten später der erste Kommentar: „Ganz schön dunkel hier.“ Plötzlich und erschreckend unerwartet kommt von links eine fröhliche Stimme: „Hallo, ich bin Edna. Wie geht's euch hier? Wollt Ihr was zu trinken?“ Die blinde Hobbykellnerin nimmt die Bestellung auf und schon entfernen sich ihre Schritte in der Finsternis.
Die anderen Besucher im Raum scheinen sich bereits an die Dunkelheit und das komische Gefühl gewöhnt zu haben. Sie reden und lachen, die Geräuschkulisse scheint wie in einem ganz normalen Cafe. Nur die Musik fehlt. Wie viele hier an den Tischen sitzen, lässt sich schwer schätzen. Urteilt man nach der Lautstärke, müssten es mindestens Hundert sein. „Nee, so viele nicht. Wir haben ja nur 20 Plätze. Aber wenn Sehende nicht mehr sehen können, sprechen sie viel lauter, weil sie sich unsicher fühlen“, antwortet Edna auf die Nachfrage. Sie hat den Kaffee für die Neuen mitgebracht, sagt sie jedenfalls. „Gib mir mal deine Hand. Da, merkst du? Da steht dein Kaffee. Nach Zucker und Milch musst du selber fühlen, steht beides vor dir.“ Und schon tasten die Finger über die Tischfläche. Ist der erste unsichere Schluck dann erfolgreich im Mund angekommen, werden viele Besucher langsam neugierig. Welche Form hat der Tisch eigentlich? Fühlt sich erst mal oval an. Die Finger entdecken dann jedoch vier rechtwinklige Ecken und schnurgerade Tischkanten. Weiter geht das Gefummel: „Aha, hier ist der Zucker also drin. Ich würde mal sagen, das ist ein geflochtener Korb“, kommt die stolze Stimme von gegenüber.
Drei blinde Kellnerinnen verteilen im „Cafe UNSICHT-bar“ den Kaffee und Kuchen an den fünf Tischen. Von Zusammenstößen hört man nichts, es scheint ganz gut zu klappen. „Am ersten Tag haben wir uns von der Theke aus vorwärts getastet um den Raum kennen zu lernen. Das haben wir jetzt im Kopf und können uns ziemlich sicher hier bewegen“, erklärt Edna Bäkefeld. Trotzdem transportieren sie nur einen Kaffee zurzeit, die andere Hand weit nach vorne gestreckt. Es könnte sich ja einer der hilflosen, nicht blinden Besucher im Raum verirrt haben. „Und das kann gefährlich werden“, sagt Edna.
Es gibt eine ganze Menge verschiedener Sachen im dunklen Cafe zu bestellen, trotzdem kommen Verwechslungen nicht vor. Die Kellner sind wegen der Frage fast beleidigt. „Der Orangensaft hat doch 'ne viel kleinere Flasche und einen Schraubverschluss, das Wasser eine andere Form und Apfelsaft ist noch größer als Wasser“, wird die Erklärung beiläufig heruntergerasselt. Und die zwei Kuchen haben ganz einfach spezielle Plätze. „Das ist ja nicht so hygienisch, den immer nach der Sorte abzutasten“, meint Bäkefeld.
Das lockere Gefühl, in einem Cafe zu sitzen, kommt bei den meis-ten Besuchern nur allmählich, bei manchen auch gar nicht auf. „Es gibt da welche, die fangen an zu zittern und zu weinen“, beschreibt Edna Bäkefeld. Andere wiederum würden keinen Ton von sich geben, wieder andere fühlten sich so wohl, dass sie stundenlang sitzen blieben und schnackten. „Ich hatte für ein paar Minuten richtige Beklemmungen. Die totale Finsternis war ganz schrecklich“, sagt Jennifer Beenen, eine Besucherin. „Ich fand es lustig da drin. Man konnte jeden Blödsinn machen, konnte ja keiner sehen“, meinte Franziska Warneke, eine der jüngeren Gäste. Ihre Mutter Annegret hatte einfach nur Angst, den Tee über ihren kleinen Sohn zu kippen. Einig sind sie sich alle jedoch mit einem: Die Erfahrung war es echt wert. „Ich habe jetzt so eine Bewunderung und großen Respekt vor den Leuten, die sich tagtäglich in dieser Finsternis bewegen“, bringt es Jennifer Beenen auf den Punkt. Doch auch die Blinden machen bei diesem Projekt wertvolle Erfahrungen. Edna: „Es ist so schön, dass Sehende auch mal von uns abhängig sind und nicht immer nur wir von denen.“ Imke Gloyer
Das „Cafe UNSICHT-bar“ ist noch an diesem Freitag, Samstag und Sonntag von 15 bis 18 Uhr in den Räumen der Phänomenta, Karlsburg 9, in Bremerhaven, geöffnet.
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