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„Die Zecken lagen am Boden“

Der wegen versuchten Mordes verurteilte Neonazi Carsten S. arbeitete als V-Mann für den Brandenburger Verfassungsschutz. Wenn er nicht gerade seine Berichte ablieferte, glorifizierte er Gewalt gegen politische Gegner – bis hin zum Terrorismus

von ANDREAS SPANNBAUER

Der enttarnte V-Mann Carsten S. hat auch nach seiner Anwer- bung durch den brandenburgischen Verfassungsschutz schwere Straftaten bis hin zum Terrorismus glorifiziert.

Der Neonazi S., den das Landgericht Frankfurt (Oder) 1995 wegen versuchten Mordes zu acht Jahren Haft verurteilt hatte, hatte der Behörde 1994 aus der Untersuchungshaft heraus seine Dienste angeboten. Eine Mitgliedschaft des 29-jährigen V-Mannes in der terroristischen Gruppierung „Nationalrevolutionäre Zellen“, die 1999 dem Weg in den Untergrund angekündigt hatte, bestritt Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm gestern. Trotz seiner Arbeit für das Amt machte sich „Piato“, so der amtliche Deckname von Carsten S., in der Szene immer wieder für militante Aktionen stark. Noch aus der Haft heraus verteidigte er in dem Skinheadmagazin „Rock Nord“ 1997 die britische Rechtsterrorgruppe „Combat 18“, die letzten Sommer mit mehreren Bombenanschlägen in der Londoner Innenstadt auf sich aufmerksam gemacht hatte. Auch nach seiner Entlassung stachelte der Bilderbuch-Skin die Szene auf. Immer wieder wurde in dem von „Piato“ herausgegebenen Fanzine „United Skins“ so genannte „boxerische Einlagen“ gegen politische Gegner glorifiziert. „Nach unserer Einstellung haben die, die nur darauf bedacht sind, ihr Leben zu genießen, in dieser Zeit des Kampfes auf Leben und Tod unserer Rasse das Überleben nicht verdient“, steht auf der ersten Seite des Ausgabe Nr. 13. Der Rechtsextremist Scott Scedeford, in den USA wegen mehreren Banküberfällen zu 60 Jahren Haft verurteilt, gilt als „eines der sehr wenigen Beispiele für einen opferbereiten Aktivisten in der White Power Musik-Szene“.

Angriffe auf Linke werden von S. ebenfalls genüsslich geschildert: „Als die ersten Ohrfeigen, Tritte und Schubsereien erfolgreich verteilt waren, riefen die Memmen urplötzlich wieder nach der Polizei (...) die ersten Zecken in der Gruppe lagen dann plötzlich vor lauter Schwäche am Boden“, heißt es in einem Bericht über eine Attacke auf eine linke Kundgebung 1998 in Potsdam. Der Überfall wurde zur Erbauung der schwedischen Neonazi-Gruppe „Storm“ durchgeführt – die Mitglieder der Gruppe, die der schwedischen nationalsozialistischen Bewegung angehören, waren damals zu Besuch in Königs Wusterhausen. Im Gegenzug soll sich S. über Sylvester bei der schwedischen Terrorgruppe „Nationalsocialistisk Front“ aufgehalten haben.

Der Polizistenmörder Kay Diesner wird in „Piatos“ Skinzine als „guter Freund“ bezeichnet. Diesner, der 1997 einen Polizisten erschoss, dürfe nicht „verteufelt werden, denn jeder von uns könnte in eine ähnliche Situation getrieben werden“.

Die Begeisterung des V-Mannes für Nazi-Terroristen hielt bis zu seiner Enttarnung an. Zuletzt prangte während einer Demonstration der NPD in Königs Wusterhausen am 17. Juni auf dem T-Shirt von S. der Schriftzug „Combat 18“. Zudem zählte S., der auch Landesorganisationsleiter der brandenburgischen NPD war, mindestens zum Umfeld der Gruppe „Nationalrevolutionäre Zellen“, die vergangenes Jahr in der Neonazi-Schrift „Hamburger Sturm“ terroristische Aktionen angekündigt hatte. Über diese braune Terrorgruppe hat das brandenburgische Innenministerium „keine Erkenntnisse“.

Der Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission im Potsdamer Landtag, Christoph Schulze, rechtfertigte den Einsatz des Nazi-V-Mannes mit dem Hinweis, die Informationsgewinnung erfordere auch die Zusammenarbeit mit vorbestraften Gewalttätern. Vom Verfassungsschutz erhielt S. monatlich tausend Mark.

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