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Das melancholische Lied der Erinnerung

Wenn die stumme Sklavin endlich Rache nimmt: Die Performance Desdemona  ■ Von Annette Stiekele

Schon wieder Video, mag mancher aufgestöhnt haben, als die Bühne in Sicht rückte. Doch die Performance Desdemona der Gruppe Theatre Works erschöpfte sich beim diesjährigen Internationalen Sommertheater Festival auf Kampnagel nicht in prätentiösem Technik- und Bilderwahn. Sie stellte Shakespeares Othello vielmehr gekonnt auf den Kopf – und zwar konsequent aus Sicht des weiblichen Opfers in einer spannungsreichen Performance, bei der traditionelle asiatische Theaterkunst scheinbar völlig unverkrampft auf modernste Videotechnik traf, asiatische Identität auf Internationalismus. Außerdem diente die Aufführung als Zeichen für eine kulturübergreifende Verständigung.

Die koreanische Percussion-Formation gibt im Vordergrund den Rhythmus vor. Bühne und Kostüme entsprechen einer gemäßigt modernisierten Tradition. Desdemona, ganz in weiß auf leerer Holzbühne, quälen nicht nur innere Leere, sondern auch Hass auf Othello, der sie allein deswegen als Sex-Sklavin hält, damit sie ihm den verzweifelt herbeigesehnten Sohn schenkt. Das Land wurde einst von seinem Urgroßvater kolonialisiert, der ebenfalls Othello hieß – Sy-nonym für die Wiederkehr der Herrschaftsform. „Damals hatten wir Namen, jetzt nur noch Nummern“, klagt Desdemona. Sie darf nicht mit ihm sprechen, nur auf seine Befehle hören.

Othello ist auf der Suche nach seiner Identität, fragt „Wer bin ich“ und „Was bin ich“. Desdemona, die sich heimlich einen Namen gab und das Lied der Mutter und der Erinnerung singt, macht ihm so sehr Angst, dass er sie schließlich umbringt. Doch sie kehrt als Geist zurück, ergreift von ihm und einem anderen Sklaven Besitz und verwandelt sie in schöne Frauen. Das ist ihre Rache.

Diese traditionell dem Sprech- und Bewegungstheater verpflichtete – wenn auch stark fragmentierte – Handlung wird eingebettet in verschiedene Subtexte, die sich in Nebenhandlungen und auf den drei großen Leinwänden und vier Fernsehern abspielen. Fragen nach der Darstellung der Geschlechter und Kulturen werden darin immer neu gestellt. Eine fiktive „Mona“ wird in ein e-mail-Gespräch verwickelt, eine Protagonistin zerkaut in die Kamera hinein feine Plastikröhrchen, wo draufsteht „tolerate“, „obligate“ oder „mediate“. Es sind subtil gestellte Fragen nach der Möglichkeit zu kommunizieren, die Desdemona erfasst haben, aber auch jeden einzelnen in dieser interkulturellen Truppe.

Vordenker Ong Keng Sen gründete Theatre Works vor vier Jahren, als er unterschiedlichste Künstler, traditionelle und moderne Tänzer, Schauspieler und Musiker zu seinem Projekt „Flying Circus“ einlud. Aus den vielen Workshops erwuchs auch diese Performance als Teil einer Asian Shakespeare Trilogy, die mit Lear begann, sich in Desdemona fortsetzt und in Julius Cäsar ihr Ende finden wird. Die Vielzahl der versammelten Künste von burmesischem Marionettentheater U Zaw Mins über indische Schauspieler und Percussionisten aus Korea und der Abwechslungsreichtum in der Szenengestaltung machen den Reiz und den Charme des Projektes aus. Und nicht zuletzt sind die Themen, um die es hier geht, universell. Die großen anthropologischen Fragen nach Identität, Liebe und Tod beschäftigen eben jeden von uns.

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