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Urnensammlung auf Rekordkurs

Das Bestattungsunternehmen Julius Grieneisen feiert seinen 170. Geburtstag und erlaubt sich zu diesem Anlass einmal, den Trauerflor abzulegen. Mit sportlichem Ehrgeiz und einem Regal gebaut aus 250 Urnen will man einen neuen Rekord aufstellen

von KIRSTEN KÜPPERS

Bestattungsunternehmen sind stille Dienstleister. Nüchtern verwalten sie den Tod. Professioneller Pragmatismus erlaubt ein dezent Falten werfendes graues Seidentuch im Schaufenster oder die leise Frage, ob Eichen- oder Kiefernholzsarg. Bunte Schuhe trägt ein Bestatter indes nie. Wenn allerdings der größte deutsche Einzelunternehmer der Branche, die Bestattungsfirma Julius Grieneisen, 170. Geburtstag feiert, darf es doch ein bisschen mehr Glamour sein. Zwar trägt man aus Rücksicht auf die Ethik des Gewerbes nicht allzu dick Glitter auf, aber ein bescheidener Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde erlaubt man sich zum runden Jubiläum allemal.

Das Ereignis der Superlative ist ein hohes Regal im Hof der Grieneisen-Firma. Dort hinein haben die Mitarbeiter 250 Urnen gestapelt. Das soll die umfangreichste Urnensammlung sein, die je in Deutschland gezeigt wurde. Eine Urne sieht aus wie ein Fußball, eine andere wie ein Schminkkoffer, ganz unten steht ein kitschiges Herz. Es gibt angeberisch wirkende spitze Designer-Urnen aus Holz, schlichte braune Polystyrol-Gefäße aus DDR-Zeiten und anmutig ziselierte Schatullen aus China. Das teuerste Stück kostet 2.000 Mark, ist aus der Schweiz und heißt „ball of life“.

Man hätte auch bunte Särge zeigen können, aber „die Urne liegt im Trend“, erzählt Rolf-Peter Lange von der Firma Grieneisen. 75 Prozent der Berliner wünschen sich eine Feuerbestattung. Die Vorstellung, die Leiche verwest unter der Erde, fänden mehr und mehr Leute abstoßend, meint Lange. Stattdessen sei der „Drang zur Individualität“ immer stärker geworden. Dafür würden Urnen selbst getöpfert, Särge von der Verwandtschaft handbemalt und die Musik würde der Persönlichkeit des Toten angepasst. Anstatt des konventionellen „Ave Marias“ spielt die moderne Beerdigungsgesellschaft Flohwalzer, Heintje oder „Wish you were here“ am Grab. Getanzt würde selbstverständlich auch. „Viele Mallorca-Reisende wollen einen Totenfeier, wie sie sie im Urlaub gesehen haben“, erzählt Lange. „Darauf müssen wir uns einstellen.“

Doch das Beerdigungsinstitut ist auf solche Fälle vorbereitet. 1830 gründete der Berliner Tischler Julius Grieneisen seine Sargfabrik. Seither hat die Firma weit über eine Million Bestattungen durchgeführt. Darunter die von brandenburgisch-preußischen Prinzen und Prinzessinnen, von deutschen Kaisern, die Bestattung von Heinrich Zille, Hans Rosenthal und Willy Brandt. In den 60er-Jahren schaltete Grieneisen Kinowerbung „Bei uns liegen sie richtig“. Mittlerweile bietet das Unternehmen den Kunden Seebestattungen, Begräbnisse in den Schweizer Bergen oder Bestattungen im Weltraum an. Auf Wunsch wird die Leiche mit der Kutsche zum Grab gefahren. Seit 1991 gibt es auch eine islamische Abteilung.

Das ganze Gewerbe würde in Deutschland gerade umgekrempelt, meint Lange. Denn mit der Vereinheitlichung der Gesetzgebung der europäischen Länder „wird auch der Friedhofszwang in Deutschland aufgehoben“. Das bedeutet, dass es „wie in Holland erlaubt sein wird, die Asche des Verstorbenen im Wohnzimmer auf den Kaminsims zu stellen“, sagt Lange. Als er hinzufügt, dass er sich selbst eine blau-gelbe Urne reserviert hat, wirkt das sehr sympathisch. Ein Journalist fragt, wie voll eine Urne im benutzten Zustand ist. Wenn man den Journalisten verbrennen würde, wäre die Urne immer noch halb leer, erklärt Lange. „Die Urne darf nicht zu voll sein. Sie muss noch klappern.“

Am schönsten ist eine kleine Urne von 1955. Ein zierlicher grüner Koffer aus Mexiko-Stadt.

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