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Natur und Geschichte im Zwiegespräch

Sitzgruppe aus Armierungsstahl: Die ambivalenten Installationen Insa Winklers  ■ Von Hajo Schiff

Nationalpark, Naturpark und Biosphärenreservat: Die Versuche, etwas Natur zu retten, stoßen den Einheimischen oft sauer auf. Dazu kommt noch die Denkmalbehörde, die zunehmend auch die meist ungeliebten Relikte aus der NS-Zeit und der DDR unter Schutz stellt. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es Regionen wie Rügen, wo beides zusammenkommt. Soll dann noch ein Gebiet touristisch entwickelt werden, stoßen die Interessen so stark aufeinander, dass eigentlich überhaupt nichts mehr geht.

Die Probleme um Peenemünde und Prora sind eher bekannt, die Situation auf der Halbinsel „Bug“ im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft weniger. Seit vier Jahren hat sich die Hamburger Künstlerin Insa Winkler mit diesem Gebiet in Nordwest-Rügen befasst, das vom Kaiserrreich bis zum Ende der DDR hauptsächlich für militärische Zwecke genutzt wurde.

In einer aufwendigen Ausstellung in KX auf Kampnagel zeigt sie derzeit zwei Zugänge zu der von der Wechselwirkung von Natur und Geschichte geprägten Gegend an der Ostsee: künstlerische Installationen und konkrete Entwürfe einer neuen Landschaftsarchitektur. Immense elf Tonnen Material hat sie aus dem Gebiet kostenaufwendig nach Hamburg geschafft, das meis-te davon alter Beton.

Das Projekt ist ein fast zu didaktisches Muster für die Möglichkeiten dessen, was im Planerdeutsch „Konversion“ genannt wird. Denn wo die einen aus dem Wald alle Bunkerreste entfernen und eine schöne neue Ferienanlage bauen wollen, verweisen andere darauf, dass zwischen Betonbrocken, in sumpfigen Kellern und dunklen Hallen längst ein neues Biotop entstanden ist. Die Kunst ist es nun, die da Vermittlung anbietet.

Ein skulpturales Zeichen für Konversion ist Insa Winklers Betonlounge vor dem Kampnagelfoyer: Zwölf umgelegte, T-förmige Mauerfragmente aus der NVA-Zeit sind mit sechs Kugeln aus Armierungsstahl und zwei Rasterplatten zu einer seltsamen, bei gutem Wetter sicher ganz netten Sitzgruppe gestaltet.

Auch die Ausstellung in KX beginnt mit einer skulpturalen Setzung, schließlich war Insa Winkler einst Schülerin des Bildhauerprofessors Koblasa an der Kieler Muthesius Hochschule. Zuerst kommen die Besucher also in einen verwunschenen Märchenwald aus bemoosten Betonresten und Bäumen aus zusammengeschweißtem Stahl-Riesen aus der auf Bug bereits begonnenen Materialverwertung. Einer solchen Reverenz an die Phantasie über das jahrzehntelang gesperrte Gebiet folgt eine Bodenprojektion von Videos, die die Künstlerin mit einer an Luftballons gebundenen Kamera vor Ort erstellt hat.

So eingestimmt, kommen die BesucherInnen als nächstes in einen Raum mit originalen Fundstücken, fremdartigen, teils zerschossenen Schildern und großen Glasflaschen, in die Insa Winkler historische Dokumentationsfotos und zukünftige Planungen eingesperrt hat wie bösartige Flaschengeister.

Kernstück all dessen ist das raumfüllende Modell eines postmodernen Steingartens, bei dem Tonmodelle, Pflanzen und Fotos eine Vorstellung davon vermitteln, wie eine gestaltete Landschaft aussehen könnte, die nicht von den eindrucksvollen Betonfragmenten ihrer Geschichte verfälschend gesäubert wurde. Eine Gruppe von vier mannshohen Laborgläsern scheint das alles zu betrachten und ein Zeichen dafür zu setzen, dass das Ideenlabor für den angemessenen Umgang mit solchen Orten noch nicht geschlossen werden sollte.

Nicht nur die künstlichen Betonfelsen in der flachen Landschaft scheinen erhaltenswert, auch ein noch erhaltener Munitionsbunker glänzt besonders durch seine gute Akustik, was nebenan eine Toninstallation zu beweisen versucht. Und schließlich kommentiert ein Gastbeitrag der Filmemacherin Susan Chales de Beaulieu generell die Situation von Urlaub mit Meerblick: Die Wellenprojektion durch ein Stacheldrahthaus zeigt, dass der Blick auf das Meer immer nur eine Projektion von Freiheit ist, da niemand das widerborstige Haus der eigenen Geschichte verlassen kann.

Insa Winkler - Futura Exaktum, KX-Kunst auf Kampnagel, Jarrestraße 20, Do - So 16 - 20 Uhr, bis 23. Juli

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