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Die drei Bescheidenen

Die Tour ist entschieden. Das sagt keiner. Aber jeder denkt es. Auch Marco Pantani und Jan Ullrich, die auf den heute beginnenden Alpen-Etappen nur noch auf einen Fehler von Lance Armstrong hoffen

von MIRJAM FISCHER

Sicher ist nur: Einer wird die Tour gewinnen. Wer es ist? Wer soll das schon wissen, wenn selbst ein Renntaktik-Experte wie der Sportliche Leiter vom Team Deutsche Telekom, der Belgier Rudy Pevenage, seit Tagen sagt: „Die Tour de France wird in der dritten Woche entschieden und keine Minute eher.“ Dabei sieht es im Moment allerdings ganz danach aus, als ob die Tour bereits gewonnen wäre. Und zwar vom Texaner Lance Armstrong, dem Vorjahressieger. Und weil das Team Telekom nun einmal nicht zum Däumchendrehen nach Frankreich gereist ist, sondern mit dem festen Plan, Jan Ullrich ins Gelbe Trikot des allerbesten Tour-Teilnehmers zu arbeiten, vertröstet Pevenage jetzt natürlich umso nachdrücklicher auf die kommenden eineinhalb Wochen. Und auch Ullrich will glauben, dass „noch so viel passieren kann bis zum 23. Juli“.

Bei der gestrigen Überführungsetappe von Avignon nach Draguignan passierte erwartungsgemäß erst mal nichts. Während der Spanier Vicente Garcia-Acosta sich erfolgreich aus einer Ausreißergruppe absetzte und den Tagessieg holte, rollten die großen drei gemütlich mit dem Hauptfeld ins Ziel.

Aber auch ansonsten sieht es gar nicht danach aus, als könne Armstrong noch irgendetwas passieren. In den Pyrenäen hat er sie alle alt aussehen lassen, und auch der Mythos vom Mont Ventoux hat ihn nicht geschreckt. Und wenn es ab heute für drei Bergetappen in die französischen Alpen geht, macht ihm das auch keine Bauchschmerzen.

Oder doch? Denn hier kommt Marco Pantani ins Spiel – der beste Kletterer der Welt. Das jedenfalls hatte Armstrong Pantani nach dessen Sieg am Mont Ventoux attestiert. Ganz egal, ob der Amerikaner in Gelb dem Italiener den Tagessieg spendiert hatte oder nicht: Bis kurz vor der Ziellinie gab es nichts geschenkt. Pantani musste arbeiten und im Wind leiden, weil sie das kurzfristig so abgesprochen hatten. Fast wie in alten Zeiten, und nur der Amerikaner kam mit.

Auf dem Podest sagte Pantani: „Für mich beginnt die Tour jetzt.“ Denn jetzt geht es in die Alpen. Drei Tage lang ein Gebirgspass nach dem anderen, nur unterbrochen vom Ruhetag am Montag. Wenn es heute hinauf nach Briançon geht, stehen zwei Berge der ersten und ein Gipfel der Ehrenkategorie auf dem Programm. Und morgen wird es nicht besser. Auch am Dienstag nicht. Und jetzt wird Pantani zusehen müssen, dass er sich ein Zeitpolster einfährt. Etwas mehr als sechs Minuten trennen ihn von Ullrich, der hat als Zweitplatzierter 4:55 Minuten Rückstand auf Armstrong.

„Lance ist in diesem Jahr der Stärkste von uns dreien“, sagt Pantani. „Ich bezahle für die lange Rennabstinenz, seit dem Ausschluss vom Giro“, erklärt er weiter. Das war im Juni 1999, als die Rennleitung den Publikumsliebling bei der Italienrundfahrt wegen eines erhöhten Hämatokritwertes ausgeschlossen hatte. Aber „der beste Pantani wird bald wieder da sein“, so Pantani.

Und im Moment sieht es tatsächlich so aus, als ob Armstrong der Stärkste wäre. Locker sieht er aus. Pantani, der zuvor noch nie erlebt hatte, dass ihm ein Fahrer in einem Aufstieg dermaßen davongefahren war, sagte: „Entweder hat ihn seine überstandene Krebskrankheit mental so stark gemacht, oder er ist der Sohn von jenem Armstrong, der auf dem Mond war.“ Oder es liegt an der hohen Trittfrequenz. Pantanis Sportlicher Leiter Giuseppe Martinelli staunte jedenfalls: „Wir haben genau gezählt: 110 Umdrehungen pro Minute in den Bergen. Das hält doch keiner aus, ohne dass ihm die Beine wehtun.“ Dabei liege in der Trittfrequenz doch das größte Potenzial der Leistungssteigerung, entgegnet Armstrong: niedrige Frequenz, schwere Gänge, größere Muskelkontraktion, verengte Kapillaren, weniger Blut, weniger Sauerstoff im Muskel.

Wie auch immer: Jan Ullrich hofft jetzt auf Fehler von Armstrong, wenn es auch nur kleinste Fehler sein mögen, die er in den Bergen zu seinen Gunsten wird ausnutzen können. „Pantani hat die Tour wohl schon verloren“, sagt er. Und hofft auch weiter auf heißes Sommerwetter, weil ihm das liegt. Er wird sein Möglichstes tun, auch wenn er, der bescheidenste der drei großen Bescheidenen, sich öffentlich inzwischen mit irgendeinem Podiumsplatz zufrieden erklärt. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping aber weiß es wie immer am besten: „Jan hat sich inzwischen gefangen. Seine Formkurve zeigt nach oben.“

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