: Schule für Haarspalter
Auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen stand das Thema Bildung im Mittelpunkt. Doch statt Leitlinien für eine zukunftsträchtige Schulpolitik zu debattieren, wurden Formulierungen zerpflückt
von JULIA NAUMANN
Es sollte die ganz große Debatte zur Bildungspolitik werden. Eine Abrechnung mit der Schulpolitik des Senats und eine Perspektivdiskussion, wie Schule zukünftig anders, besser, zukunftsweisender werden kann. Stattdessen wurde auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen am Samstag über Formulierungen bis in letzte Kommas gestritten. Inhalte kamen kaum vor.
Der Landesvorstand, die Bildungs-AG und der schulpolitische Sprecher im Abgeordnetenhaus, Özcan Mutlu, hatten einen zwölfseitigen Antrag vorbereitet, der sich mit Leitlinien und Lösungsvorschlägen zur Schulpolitik befasst. Dieser sollte diskutiert und abgestimmt werden. Weil der „Duktus“ des Antrages jedoch Mitgliedern der Fraktion missfiel, wurde zwei Tage vor der Konferenz flugs ein zweiter Antrag geschrieben. Der ursprüngliche Antrag sei zu sehr auf Leistung und Wettbewerb ausgerichtet, monierte die Fraktionsvorsitzende Sibyll Klotz. Man sei sich zwar in der Grundeinschätzung einig, lege aber mehr Wert darauf, dass erst einmal verlässliche Rahmenbedingungen in den Schulen geschaffen werden müssten, begründete die familienpolitische Sprecherin Elfie Jantzen den neuen Antrag. Wettbewerb funktioniere nur bei Chancengleicheit.
Mehr Wettbewerb contra Pragmatik – das hätte die Debatte richtig in Gang bringen können. Doch stattdessen wurde über Formulierungen von zwei im Endeffekt doch sehr ähnlichen Anträgen abgestimmt.
Der Newcomer Özcan Mutlu, für den es der erste große Auftritt vor der Partei nach seinem Einzug im Abgeordnetenhaus war, blieb blass. In der einleitenden Rede leierte er nur altbekannte Phrasen, wie schlecht es um die Schulen stehe, herunter. Lösungsvorschläge waren nicht erkennbar. Der 32-Jährige hat sichtbare Schwierigkeiten, aus dem Schatten seiner Vorgängerin Sybille Volkholz herauszutreten, die als eine der profiliertesten Schulexpertinnen gilt und den Ursprungsantrag maßgeblich geprägt hat.
Deutlichere Positionen hatten da schon die ganz Jungen, die sich gegen konkurrierende Schulen aussprachen. Die Grüne Jugend hatte schon im Ursprungsantrag große Schwierigkeiten mit der Formulierung, dass „der Wettbewerb von Schulen gefördert werden müsse“. Die Sprecherin der Grünen Jugend, Tina Gerts, sagte unter viel Beifall der etwas über 100 anwesenden Delegierten, dass „Marktprinzipien“ nicht auf Schulen übertragbar seien. Damit ginge ein emanzipatorischer Anspruch verloren. Das Notensystem sei schon genug Wettbewerb. Die Delegierten stimmten dann auch gegen den Passus.
Kein Diskussionsbedarf gab es bei Themen wie der sechsjährigen Grundschule und dem Express-Abitur. Erstere soll erhalten werden, zweiteres ist nicht erwünscht. Auch der Religionsunterricht soll so bleiben wie er ist, nämlich freiwillig. Lediglich die Gruppe Kreuzberg wollte ihn ganz aus der Schule verbannen.
Nach dreistündiger Haarspalterei, unbedeutenden Wortgefechten und immer genervteren Gesichtern wurde dann ein etwas entschärfter Ursprungsantrag mit deutlicher Mehrheit angenommen. Ein bisschen Qualitätssicherung, ein bisschen Evaluation und neue Medien, keine Differenzierung in der Grundschule, Autonomie an den Schulen, aber kein Wettbewerb.
Zufrieden war danach niemand. „Die Diskussion war absolut niveaulos“, schimpfte eine Delegierte. Die Grünen hätten keinen Mut zur Innovation, seien rückwärts gewandt, sagte ein anderer. Ein Dritter meinte: „Die meisten, die hier im Saal sitzen, würden ihre Kinder zum Express-Abitur schicken. Sie trauen sich nur nicht, es zu sagen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen