piwik no script img

„Die Spielansätze sind da“

Heute starten die deutschen Nachwuchsfußballer in Mannheim mit dem Spiel gegen die Ukraine in die U-18-Europameisterschaft. Ein Gespräch mit dem verantwortlichen DFB-Coach Uli Stielike

Interview FRANK KETTERER

taz: Herr Stielike, in Holland scheiden ein paar Fußball spielende Millionäre aus, und als Folge dessen schimpft plötzlich eine ganze Nation auf ihren Nachwuchs. Ist das gerecht?

Uli Stielike: Nein, das ist es nicht. Kurioserweise sind ja unter den Kritikern viele Leute dabei, die die letzten Jahre kein einziges Nachwuchsspiel gesehen haben. Das stört mich an der ganzen Kritik am meisten. Wenn sie wirklich fundiert wäre, müsste man sich darüber in der Tat ernsthaft Gedanken machen.

So muss man es nicht?

Im deutschen Fußball ist im Nachwuchsbereich in den letzten zwei, drei Jahren einiges geschehen. Besonders in den Bundesligavereinen wird gut bis sehr gut gearbeitet, zumindest was die Trainingsinhalte angeht. Dass die Talente nicht mehr in der Anhäufung vorhanden sind wie vor 25 oder 30 Jahren, darüber brauchen wir uns nichts vorzumachen.

Woran liegt das?

Damals hat die Straße Talente produziert, nicht der Fußballverein. Ein Straßenfußballer macht vieles instinktiv, Straßenfußballer sind eigentlich die guten Fußballer. Das Problem heute ist, dass es den Straßenfußball nicht mehr gibt und wir seine Funktion in den Vereinen auffangen müssen. Dazu bedarf es schon in den kleinsten C-Klasse-Vereinen guter Trainer, die die Jugendlichen an die Hand nehmen und ihnen etwas beibringen.

Wieviele Spieler ihrer Mannschaft haben noch auf der Straße gespielt?

Die wenigsten. Mit Instinktfußballern ist dieser Jahrgang auch nicht gerade übersät.

Dafür sagt man dem Nachwuchs nach, er rekrutiere sich aus Wohlstandsjünglingen. Sie haben sich bereits im Vorfeld dieser EM vehement gegen diesen Begriff gewehrt.

Ich bin jetzt zwei Jahre dabei und habe es nicht einmal erlebt, dass ich die Jungs hätte anschieben müssen oder dass sie undiszipliniert gewesen wären.

Also dann: Wie ist’s denn nun wirklich um den deutschen Fußballnachwuchs bestellt?

Wir haben sicherlich in dieser Altersklasse, der U 18, ein bisschen mit technischem Fehlverhalten zu kämpfen. Meine Jungs haben Schwierigkeiten, sich mit spielerischer Leichtigkeit aus bestimmten Problemsituationen zu befreien. Wenn man aber eine Stufe runter geht, wenn man zum Beispiel unsere B-Jugend ansieht, die bei der letzten EM nur mit sehr viel Pech an Portugal, dem späteren Europameister, gescheitert ist, nämlich im Elfmeterschießen, dann muss man sagen, dass die vor zwei, drei Jahren eingeleiteten Maßnahmen bereits greifen. In Zukunft werden wir mit Sicherheit technisch wesentlich beschlagenere Spieler bekommen. Bis es so weit ist, müssen wir eben noch etwas Geduld haben.

Hat der deutsche Fußball diese Zeit, zu warten?

Er muss. Man kann ja nicht von Nachwuchsarbeit reden und dann eine Bilanz nach einem Jahr ziehen. Nachwuchsarbeit braucht immer ihre Zeit.

Sie haben schon im Vorfeld dieser EM appelliert, diesem Nachwuchs auch nach dem Turnier eine Chance zu geben. Ist das ihre größte Befürchtung – dass ein Teil dieser Talente in naher Zukunft bei einem der Profivereine auf der Bank versauert?

Ja klar. Ich war ja auch bei der vorhergehenden U-18-Truppe dabei. Von diesen Spielern sehe ich keinen, der irgendwo im Profibereich aufgetaucht ist. Ich hoffe, dass mit dieser U 18 nun der Umschwung einsetzt und dass man in zwei Jahren den einen oder anderen in der Bundesliga sieht. Ich bin fest davon überzeugt, dass aus dieser Mannschaft mindestens sechs Spieler das Zeug mitbringen, einmal in der Bundesliga Stammspieler zu sein. Wenn man sie weiter richtig fördert und ihnen Vertrauen schenkt.

Wie vielen ihrer Spieler trauen Sie zu, bei der WM 2006 im eigenen Land für Deutschland zu spielen?

Für die, die es in die Bundesliga schaffen, ist der Sprung in die Nationalmannschaft ja gar nicht mehr so groß. Ich glaube aber nicht, dass die Jungs in einer Zeitspanne bis zur WM 2006 denken. Für die beginnt nach dieser EM in ihren Heimatvereinen der Kampf gegen ältere und erfahrenere Spieler. Der wird hart genug.

Für die EM haben Sie bezüglich Ihrer Mannschaft Engagement, Disziplin und Organisation angekündigt. Ist das nicht schon wieder die Reduktion auf die deutschen Tugenden?

Nein, nein, nein. Die Spielansätze werden auf jeden Fall da sein. Wir wollen versuchen, ein konstruktives Spiel aus der Abwehr heraus zu gestalten, wir wollen mehr mit Kurzpässen agieren als mit langen Bällen. Und wir spielen auf jeden Fall mit Dreier- oder Viererkette. Natürlich besteht die Gefahr, dass, wenn die Technik mal versagt, der Gegner besser zum Zuge kommt.

Was ist Ihr Ziel bei dieser EM?

Wir wollen uns zum einen für die WM 2001 in Argentinien qualifizieren, wofür Platz sechs notwendig ist. Das ist unser Minimalziel. Wenn wir das geschafft haben, wollen wir ein Finale anstreben, am besten das große in Nürnberg.

Und wenn Sie gar Europameister werden?

Dann würde das vor allem eines unterstreichen: dass in Deutschland die Nachwuchsarbeit besser ist als ihr Ruf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen