: Die Elektro-Couch
Jake Mandell und Phonem spielen heute im Bastard
Als Techno Mitte der Neunziger immer „intelligenter“ wurde und der Frickelbeat-Faktor dauernd höher geschraubt wurde, schien die Zukunft der elektronischen Musik durch das Modell Autechre-Epigonentum gesichert. Doch der aktuelle Stand der Dinge ist ein ganz anderer. Die interessantesten Ansätze in der elektronischen Musik sind in der Amalgamierung von Techno und Pop zu finden, das Prinzip Song hat Hochkonjunktur, und von intelligent techno will gleich gar niemand mehr reden.
Jake Mandells Suche nach einem Ausweg aus der Frickel-Misere mündet nun darin, gar nicht erst zu versuchen, noch mehr Soundatome pro Sekunde zu verpulverisieren als Aphex Twin, sondern lieber im Schlagschatten der groß angelegten Destruktion zu agieren. Hier ein Stolperbeat, dort ein wenig Gezuckel und ein großes Herz für dahinplätschernde Verstörungsmomente. Das ergibt eine gemäßigte Schräglage, die nicht unbedingt vor den Kopf hauen soll, sondern eher wie ein Narkotikum wirkt. Mandell ist dabei einer der derzeit Wichtigsten einer neuen Welle von amerikanischen Produzenten, die den prägenden Warp-Sound der Neunziger für sich entdeckt haben, ihn mit einem eigenen Ansatz ausrüsten und ins immer noch an Techno viel interessiertere Europa rücktransferieren.
Auch Phonem aus Leipzig ist damit beschäftigt, ein Klangdesign hinzubekommen, bei dem nicht der gefürchtete Schon-tausendmal-gehört-Reflex einsetzt. Sein Konzept ist es, die virulente Lust an Pop seitens der Elektronikfraktion in sein Modell aus ambientösem Zerfaserungstechno zu integrieren. Bei ihm werden Tonmetzgereien plötzlich zu wohl temperiertem Schönklang. Richtig niedliche Klanglandschaften bastelt er zusammen, die stets komplex sind, aber nie wirklich kompliziert. Eher so eine Musik für Entdeckungsreisen von der Couch aus. Irgendwas passiert immer, aber man kann sich dabei entspannen.
Wer will, kann Phonem natürlich aber auch angestrengt auf die Finger schauen. Denn der wird sich bei seinem Live-Set, trotz des Anliegens, zerbröselte Stille zu produzieren, hoffentlich vor lauter virtuosem Knöpfchengeschraube die Finger verknoten. ANDREAS HARTMANN
Heute ab 22 Uhr, Bastard, Kastanienallee 7–9
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen