: Die Grünen zwischen Markt und Staat
Zusammen mit liberalen Ökonomen diskutieren Spitzengrüne über ihre zukünftige Wirtschafts- und Sozialpolitik
BERLIN taz ■ Der äußerste Südwesten der Republik ist anders. Nicht nur der Wein schmeckt lieblicher und die Sonne brennt heißer als im Norden. Auch vermeintliche Gegensätze fallen dort oft nicht so widersprüchlich aus.
Wo der deutsche Liberalismus – der nahen Französischen Revolution gedankt – im 19. Jahrhundert erstmals politischen Einfluss gewann, verstehen sich heute wirtschaftsliberale Ökonomen und grüne Politiker so gut, dass sie gemeinsam ein Buch herausgeben. Den Band „Grüne Ordnungsökonomik“ präsentierten Ralf Fücks, Chef der den Grünen nahen Heinrich-Böll-Stiftung, und Siegmar Mosdorf, Staatssekretär bei Wirtschaftsminister Werner Müller, gestern in Berlin. Die darin enthaltenen Beiträge sollen klären helfen, wo zwischen den Polen Markt und Staat die grüne Wirtschafts- und Sozialpolitik angesiedelt sein sollte.
Die dem Buch zugrunde liegende Tagung – ein „Experiment“, wie Fücks betonte – fand im vergangenen Februar in Bleibach bei Freiburg statt. Dort residiert das Walter-Eucken-Institut, das nicht nur mit der Böll-Stiftung zusammen die Aufsatzsammlung herausgibt, sondern zuvörderst die Ideen des ordoliberalen Ökonomen pflegt und weiterentwickelt. Eucken gilt als intellektueller Vater der sozialen Marktwirtschaft, die CDU-Wirtschaftsminister Ludwig Erhard in die Praxis umsetzte.
An diese Ideen, die zum Rüstzeug vieler CDU- und FDP-Politiker gehören, knüpfen prominente Grüne in ihren Buchbeiträgen nun an. Dass der freie Markt nur dann als Regelungsinstanz für das Wirtschaftsleben funktioniert, wenn ihm ein staatlicher Rahmen zur Gewährleistung von Chancengleichheit, sozialen und ökologischen Zielen gegeben wird, ist für die Autoren nahezu unstrittig. Interessant wird die Debatte freilich, sobald es an die Ausführung und Übersetzung in Handlungsanweisungen für den politischen Alltag geht.
Ralf Fücks legte den Grünen nahe, in Zeiten des zunehmenden wirtschaftlichen Egoismus die Bedeutung „öffentlicher Güter“ wie Bildung und eines vernünftigen Systems sozialer Absicherung zu betonen, sowie den „öffentlichen Zugang zu Basiswissen“ zum Beispiel in der Gentechnik zu sichern. Demgegenüber markierte Lüder Gerken, Direktor des Eucken-Instituts, eine eher neo- als ordoliberale Position. Die Arbeitslosigkeit werde schon verschwinden, wenn man die Regelungsdichte auf dem Arbeitsmarkt radikal verringere, so Gerken. Anders ausgedrückt: Wenn es keinen gesellschaftlich definierten Minimallohn gibt, werden schließlich alle Arbeitslosen einen Job finden – für 3,50 Mark pro Stunde.
HANNES KOCH
Lüder Gerken/Gerhard Schick (Hrsg.): „Grüne Ordnungspolitik – eine Option moderner Wirtschaftspolitik?“. Marburg 2000. Metropolis-Verlag. 408 S.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen