: „Wir schlitzen dir den Bauch auf“
Tritte, zusammengebrochene Zelte und „Nigger“-Rufe: Erlebnisse einer Hamburger Klasse in der Nähe von Soltau ■ Von Sandra Wilsdorf
Erst sind es nur sechs: Sie suchen Streit und „einen mit Glatze“. Aber in der Klasse 10c des Gymnasiums Corveystraße haben alle Haare, und die Drohung „Wir holen Verstärkung, in einer halben Stunde sind wir wieder da“, nimmt zunächst niemand aus der Klasse recht ernst. Den Überfall, der dann folgte, konnte sich keiner vorstellen.
Die Eppendorfer verbringen ein Wochenende auf einem Campingplatz in der Nähe des niedersächsischen Soltau. Sie wollen keinen Streit, es ist ein Uhr nachts, sie legen sich in ihre Zelte. Aber die anderen kommen wieder, mit etwa 15 Männern und drei Frauen. Sie rufen: „Wir wollen den Nigger“. Und: „Nigger, wir schlitzen Dir den Bauch auf und pissen dir auf den Kopf. Morgen bist du toter als tot“. Dominic Smith, dessen Vater aus Afrika kommt, kauert sich in seinem Zelt zusammen. „Sie haben gegen das Zelt getreten und mich am Kopf erwischt“, erzählt er nach der Rücckehr. Ein Zahn bricht ab. „Bei uns haben sie die Stangen rausgezogen, auf uns eingetreten und mit Zigaretten Löcher ins Zelt gebrannt“, sagt Mitschüler Daniel Haubeck.
„Ich hatte totale Angst, dass die reinkommen“, sagt Björn Hoff. „Ich auch, aber ich war auch wütend“, sagt Dominic Smith. Er und John-Philipp Kobusch bleiben auch dann noch im Zelt, als das über ihnen zusammen bricht. „Die wollten uns anzünden“, hat Alina Erdmann gehört.
Lehrer Diedrich Sonntag ist der einzige, der sein Zelt verlässt, er versucht, die 17- bis 18-jährigen Angreifer auf Distanz zu halten. „Ich habe sie gesiezt, bin betont höflich geblieben“, sagt er. Trotzdem geht einer plötzlich mit erhobenen Fäusten auf ihn los. Aber da erscheint der zu Hilfe gerufene Platzwart. Der Chef der Angreifer befiehlt: „Abrücken“.
Die Klasse bleibt, wie geplant, noch einen weiteren Tag. „Abends wollten wir in die Disco, aber als wir einige von denen erkannten, die nachts dabei waren, habe ich micht nicht rein getraut“, sagt Dominic Smith. Es waren offenbar Jugendliche aus dem Umgegend. Der Campingplatzbesitzer erstattet Anzeige und spricht Platzverweise aus.
Und die Polizei? „Ich habe sie vom Zelt aus per Handy angerufen und genau beschrieben, wo auf dem Platz wir stehen“, sagt Stefanie Wiedenroth. Ein anderer hat die gleiche Idee. Trotzdem taucht in dieser Nacht kein Beamter auf. „Es wurden zwei Streifenwagen entsandt, warum die nicht bei den Jugendlichen angekommen sind, recherchieren wir“, sagt Wolfgang Börner von der Soltauer Polizei.
Ob die Angreifer gezielt oder zufällig das Zelt zusammengetreten haben, in dem Dominic Smith lag, ist unklar. „Sie konnten ja nicht wissen, in welchem Zelt ich bin“, sagt er. Einige Schüler haben Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln beobachtet, andere Glatzen und 40 Zuschauer. „Ich habe nur zwei mit ganz kurzen Haaren gesehen“, sagt dagegen Lehrer Sonntag. Warum die Polizei nicht rechtzeitig am Tatort eingetroffen ist, liegt auch noch im Dunklen. Klar ist nur die Angst: „Ich habe so etwas noch nie erlebt. Und ich weiß nicht was die mit mir gemacht hätten, wenn sie mich gesehen hätten“, sagt Dominic Smith.
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