: Demokratie macht Angst
Heftiger Streit auf der Konferenz der Internet Corporation for Assigned Numbers and Names (Icann) in Yokohama: Regierungsvertreter warnen davor, das Internet einem Industriekartell zu überlassen
von CHRISTIAN AHLERT
Zwei Themen beherrschten die Tagesordnung der Konferenz von Yokohma, zu der die „Internet Corporation for Assigned Names and Numbers“ (Icann) letzte Woche geladen hatte: Zum einen ging es darum, das Schema der Webadressen um neue „Top-Level-Domains“ zu erweitern. Ebenso heftig umstritten war die Frage, wie die erste, globale Onlinewahl abgehalten werden soll, zu der Icann die Internetnutzer aufgerufen hat.
Beide Streitfragen hängen weit enger zusammen, als es Icann wahrhaben will. Top-Level-Domains sind nicht weniger politisch definiert als die so genannte „At-Large-Membership“ der Icann, die das Wahlvolk des Cyberspace sein soll. Icann verwaltet den Refernzrechner („A-Root-Server“) für sämtliche Adressenräume, ebendso selbstherrlich teilt Icann die Welt in Wahlbezirke auf – und eines vor allem wurde dabei offenbar: Icann hat Angst vor zu viel Demokratie.
Macht ist der Besitz von Kontrolle über andere. Mit dieser politischen Binsenweisheit hat sich Icann seit ihrer Gründung durch die Clinton-Administration 1998 herumgeschlagen. Die amtierende Vorsitzende Esther Dyson hat auch in Yokohama wieder behauptet: „Wir sind keine Regierung – wir koordinieren nur Technik.“ Warum aber haben sich inzwischen weltweit 50.000 Mitglieder für die globale Wahl ihrer Direktoren begeistert? Bald werden sich über 100.000 Netzbürger in die Wahllisten eingetragen haben. Sie wollen mitentscheiden, wie das Internet regiert wird, nicht bloß technischen Lösungen ihren Segen geben.
Wie real die politische Macht von Icann schon jetzt ist, zeigte sich immer wieder am Streit um die Top-Level-Domains: Eine Delegation des Inselstaates Niue forderte etwa die Rückgabe ihrer Cyberidentität „.nu“. Das Südseeatoll hatte sein Länderkürzel an Schweden verkauft, weil „.nui“ in Schwedisch „jetzt“ bedeutet. Die EU will „.eu“ haben, Vertreter verschiedener Nichtregierungsorganisationen verlangen „.union“ oder „.personal“. Und ausgerechnet Icann-Direktor Rob Blokzijl, der nicht müde wird zu behaupten, Technik sei unpolitisch, erzählt am Rande, dass ihn afrikanische Regierungen wiederholt auffordern, ihnen die Hoheit über ihr Länderkürzel zu übertragen. Ein Vertreter Gambias, der der dortigen Regierung lediglich nahe steht, wunderte sich deshalb, warum die „Nichtregierung des Netzes“ gerade ihm die Macht über das nationale Kürzel „.gm“ übertragen hat. Blokzijls Antwort: „Meine Freunde dort haben mir E-Mails geschickt – die Verwaltung des Länderkürzels bleibt unabhängig.“
Machiavelli hätte an dieser Art der Machtausübung seine wahre Freude gehabt. Zum Eklat kam es schließlich, als zwei Anwälte der Icann, Andrew McLaughlin und Joe Sims, in kompliziertem Harvard-Law-School-Englisch vorschlugen, die demokratische Struktur der Internetverwaltung doch gleich ganz abzuschaffen. Neun Direktoren sind schon von den Interessengruppen der Internettechniker und der Industrie gewählt worden. Lediglich weitere neun sollten laut Statuten von der Gesamtheit der Internetnutzer gewählt werden. Schon die letzte Konferenz des Gremiums, die in Kairo stattfand, beschränkte dieses Kontingent auf fünf Kandidaten, die in einem ersten Schritt probeweise gewählt werden sollten. McLaughlin und Sims fanden es nun in Yokohama nur folgerichtig, diesen ersten Schritt zur allgemeinen Volkswahl auch zum letzten zu machen.
Putsch gegen die Wahl
Wütender Protest der Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, überraschenderweise auch von Vertretern des Regierungsbeirats der Icann, war die unmittelbare Folge. Michael Leibrandt, Vertreter der deutschen Bundesregierung, brachte seine Bedenken auf den Punkt: „Icann ist am Scheideweg zwischen Nutzerorganisation und Industriekartell.“
Die Drohung in diesem Satz blieb unausgesprochen, war aber dennoch unüberhörbar. Wenn Icann zum Industriekartell wird, dann werden die Nationalstaaten sich mit einer bloß beratenden Funktion nicht mehr zufrieden geben. Noch sind auch sie an einer funktionsfähigen Regelungsinstanz interessiert, schließlich geht es tatsächlich um „die Stabilität des Internets“, wie Becky Burr für die US-Regierung gerne sagt. Eine Regierung jedoch, die „keine Intention“ habe, „die ultimative politische Autorität über den Authoritive Root-Server abzugeben“.
Noch in diesem Jahr wird Icann diesen Schlüsselrechner übernehmen, der bisher noch von jedem ans Internet angeschlossenen Computer erreicht und auch angegriffen werden kann. Aus Sicherheitsgründen wird ihn Icann nur noch für zwölf andere Root-Server zugänglich machen: Technisch wie auch politisch wird damit die oberste Netzautorität noch wichtiger als heute, und die allzu smarten Anwälte von Icann mussten schon am anderen Tag erfahren, dass ihr Putschversuch gescheitert war. Der Protest war nicht ungehört verhallt, vielmehr beschloss die Versammlung, dass zwar, wie in Kairo festgelegt, erst einmal nur fünf Direktoren gewählt werden. Vier der provisorischen Wahldirektoren sollen jedoch so lange im Amt bleiben, bis über das weitere Verfahren endgültig entschieden wird. Das „Board of Directors“ bleibt damit wenigstens handlungsfähig, auch wenn die künftige Rolle demokratischer Mitgliedschaft noch unklar ist.
Die Vertreter der Nichtregierungsorganisationen versprachen, Icann nicht aus den Augen zu lassen. Zu viele Fragen sind immer noch offen: Bis zum 31. Juli können sich die Netizens bei Icann registrieren, aber was dann? Kann man dann immer noch Mitglied werden? Was machen die Netizens nach der Wahl, werden sie dann wieder zum unmündigen Fußvolk?
Bürokratie an der Macht
Ungewiss ist auch, wer denn nun Kandidat für Europa werden wird. Hinter den Kulissen werden verschiedene Namen gehandelt. Das Nominierungskomitee der Icann tagte hinter gut verschlossenen Türen und will erst Anfang August seine Kandidaten bekannt geben. Dann erst dürfen die „At-Large-Mitglieder“ auch ihre eigenen Kandidaten nominieren. Ebenfalls ungeklärt ist das Verhältnis zwischen beiden Kandidatengruppen. Icann behält sich vor, möglichst viele „gute Kandidaten“ auszuloben und den Rest dem Internetvolk zu überlassen: Also wieder keine Demokratie von unten, sondern Bevormundung der Netizens. Max Webers alte Beobachtung trifft offenbar immer noch zu: Jede Organisation versucht, mehr und mehr Macht in sich zu vereinen, und wird dabei immer bürokratischer. Icann gleicht immer mehr einer UN der Informationsgesellschaft, sie entfernt sich immer weiter von ihrer Basis, der sie angeblich dienen will. Die australische Regierung hat Paul Twomy zum ersten Icann-Botschafter ernannt. Der witzelte, dass man ihn von nun an mit „Exzellenz“ anreden solle. Vint Cerf, Icann-Direktor und einer der Gründungsväter des Netzes, erwiderte zynisch: „Sollen wir das Internet zur Nation erklären und Pässe beantragen?“
Ironischerweise fehlt es dem Gremium aber just an der Technik, die für diesen Schritt mindestens nötig wäre: Die Server brechen unter der Mitgliedermasse zusammen. Nach einer Kampagne in Japan, die von der Regierung unterstütz wird, hat Japan jetzt über 16.000 Mitglieder – und führt damit vor den USA und Deutschland. Jeden Tag kommen fast 2.000 neue Wahlbürger hinzu. Esther Dyson schlug deshalb vor, die Zeiten zu posten, in denen der Server nicht überlastet ist.christian_ahlert@harvard.edu
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