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Regressive Walverwandtschaft

Buckelwale und Baumfeen in einem wertkonservativen Bilderbombast für Wirtschaft, Industrie und Dienstleistung: 60 Jahre nach „Fantasia“ hat Disney mit „Fantasia 2000“ eine computeranimierte Fassung von Cartoon goes Classic herausgebracht

von HARALD FRICKE

In den Sechzigerjahren brach bei Walt-Disney-Filmen noch eine Hysterie unter Kindern aus. Da waren die psychedelisierte Schlange Kaa und der Tiger Shir Khan, bei deren Auftritt in „Dschungelbuch“ man sich vor Angst im Mantel seiner drei Jahre älteren Bekannten festkrallte. Da war Baloo der Bär, der so lustig über Gemütlichkeit singen konnte mit der Stimme von Klaus Havenstein. Und da war das schöne Mädchen aus dem Dorf, in das sich Mowgli am Schluss verguckt, während man sich im Kino noch enger an seine Begleiterin schmiegte.

Heute ist Disney der Feind, eine globale Merchandising-Maschine, die halb gare Multikulturhelden ausspuckt, wenn gerade mal wieder irgendeine Ethnie verpoppt oder gleich ein ganzer Kontinent spielzeugtechnisch erschlossen werden soll. Stofflöwen („Lion King“), Mützenjeanies („Aladdin“), Gummigargoyles („Der Glöckner von Notre Dame“) oder griechische Mac-Burger („Hercules) pflastern den Weg des Zeichentrickunternehmens – von Eurodisney, diesem verkorksten Liebesfindungsparadies für Problempaare Mitte Fünfzig ganz zu schweigen.

Das neue Produkt „Fantasia 2000“ ist insofern ehrlich. Kinder sind als Zielgruppe leider kaum vorgesehen. Stattdessen umwirbt der Film mit Cartoon meets Classic Leute, die sich ihre Best-of-Beethoven-CD per Teleshopping bestellen. Erwachsene also, die vergessen haben, wie gut ihnen Disney-Filme früher mal gefallen haben, und die schon mit einem gepflegten Abend in digitaler Animations-Hightech-Atmosphäre zufrieden sind. Walt Disney hatte mit dieser Art Service-Kino bereits 1940 keine Probleme. Damals kalkulierte er für das „Fantasia“-Original ein, dass „der Film über 10, 20, 30 Jahre hinweg in den Kinos gezeigt werden kann“.

Wegen des Erfolgs ist jetzt eine zweite Fassung gedreht worden: Auch in „Fantasia 2000“ hüpfen gezeichnete Tiere zu klassischer Musik über die Leinwand. In Blau, Rosa, Gelb und anderweitigem Bunt. Da sind zum Beispiel Buckelwale, die ihr Junges verlieren, weil es von einem stürzenden Eisberg eingeschlossen wird. Aber das Junge kann fliegen, die Eltern auch, überhaupt alle Buckelwale. Deshalb schwebt am Ende die ganze Walverwandtschaft zur Sonne, ans Licht. Da freut sich das Greenpeace-Sonderkommando, und der Ölmanager kann aufatmen: Meeressäuger wollen auch bloß ein Himmelreich.

Insgesamt sieben solcher Episoden wurden für „Fantasia 2000“ neu gezeichnet. Baumfeen tanzen gegen das Feuer im Wald an, Schmetterlinge flattern vor dem Weltuntergang davon. Außerdem ist „Der Zauberlehrling“ mit Micky Maus aus dem Original von 1940 übernommen worden. Und siehe da, es wirkt: Die andauernde Natur-Esoterik, das ständige Auf- und Abschwellen von diversen Orchesterklangkörpern, das alles fügt sich nach gut 75 Minuten zu einer triumphalen Regresswelt für gebeutelte Funktionsträger aus Wirtschaft, Industrie und Dienstleistung zusammen – ohne dabei mit tatsächlichen Ängsten und Leidenschaften von Kindern in Berührung kommen zu müssen. Denn das Prinzip von Disney ist es, mit einem wertkonservativen Bilderbombast Geschichten für einfache Gemüter zu erzählen, bei denen am Ende alles gut wird. Bibelmärchen, in denen Donald Duck als Noahs Gehilfe auf dem Berg Ararat seine geliebte Daisy Duck knutschen kann oder Flamingos sich zu Camille Saint-Saëns „Karneval der Tiere“ die Stelzen verdrehen.

Dass „Fantasia 2000“ Erwachsene glücklich machen soll, merkt man schon daran, dass sich nicht Michael Jackson zwischen den Nummern aufgeregt kieksend in den Schritt fasst, sondern James Levine als Dirigent der Metropolitan Opera mit dem Chicago Symphony Orchestra für die Vertonung zuständig war. Und dass Steve Martin breitmaulfröschig Witze erzählt. Im schwarzen Anzug. Am Ende der Veranstaltung darf gespendet werden. Für den Regenwald.

„Fantasia 2000“. Regie: Eric Goldberg,James Algar u. a., USA 2000, 74 Min.

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