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„Fahndungsdruck wirkt nicht auf die rechte Szene“

Auf die Zivilgesellschaft kommt es an – wenn sie versagt, kann sich rechter Terror entfalten, meint Rechtsextremismusexperte Michael Thomas

taz: Die Stimmen, die vor Terror von rechts warnen, mehren sich. Sie beobachten die rechtsextreme Szene schon seit Ende der 80er-Jahre. Auch damals gab es Überfälle von Neonazis. Was hat sich verändert: die Realität oder die Wahrnehmung?

Michael Thomas: Es gibt seit Anfang der 90er-Jahre Versuche der Nazi-Szene, Terrorstrukturen zu etablieren. Was wir heute sehen, ist für alle, die diese Entwicklung aufmerksam verfolgen, keine große Überraschung. Gerade Königs Wusterhausen, jetzt in den Medien wegen des enttarnten V-Mannes Carsten S., ist schon seit 1990 ein Schwerpunkt rechtsterroristischer Aktivitäten. Derzeit, so scheint es uns, geht es den Sicherheitsbehörden darum, vermeintliche Ermittlungserfolge hervorzuheben, und nicht darum, wirklich neue Entwicklungen darzustellen.

Wie jüngst bekannt wurde, wurden rechtsextreme Anschläge verhindert.

Natürlich. Das, was jetzt bekannt geworden ist, sind Fälle, bei denen Täter vor Verübung ihrer Tat gestoppt wurden. Der Punkt ist aber, dass es gleichzeitig Dinge gibt, die sich einer angeblichen Kontrolle der Sicherheitsbehörden ganz offensichtlich entzogen haben. Bei keinem der erfolgten Sprengstoffanschläge – wie zum Beispiel auf das Grab von Heinz Galinski – können die Sicherheitsbehörden einen Fahndungserfolg vorweisen. In Berlin gilt dies für alle antisemitischen Anschläge der letzten Jahre.

Welche Rolle spielt oder spielte der angesprochene V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes, der jüngst aufgeflogen ist, in dieser terroristischen Szene?

Gerade der Fall von Carsten S. zeigt, dass die Aktivisten, die in terroristisch ambitionierten Kreisen auftauchen, zum überwiegenden Teil keine Unbekannten sind. Das sind Personen, die eine politische Biografie in dieser Szene bis teilweise weit in die 80er-Jahre haben. S. und sein politisches Umfeld waren 1991/92 Ziel eines umfangreichen Ermittlungsverfahrens. Er selbst war an Gewalttaten beteiligt, und in seiner Berliner Wohnung wurden Bombenrohlinge gefunden.

Im Übrigen hat er, nachdem er bereits für den Verfassungsschutz tätig war, weiter zu Gewalt aufgerufen, und damit eine Stimmung mitgeschaffen, die mit Sicherheit Wirkungen hat. Wirkungen, die man in Brandenburg und anderen Bundesländern jeden Tag beobachten kann.

Wie groß ist das Potenzial rechten Terrors in Berlin?

Es ist schwierig, darauf eine Antwort zu geben, die einem nicht später auf die Füße fällt. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass es einen Kern von Leuten gibt, die terroristisch ambitioniert sind, der ungefähr zwei Dutzend Personen umfasst, plus einem undefinierten unklaren Umfeld, das durchaus motiviert werden könnte zu solchen Aktivitäten. Man muss auch einfach mal klipp und klar den Sicherheitsbehörden vor Augen halten, dass seit den frühen 90er-Jahren diesselben Leute auf der Bildfläche erscheinen. Das heißt, die Fluktuation in diesem Bereich ist sehr gering. Anders ausgedrückt: Man kann, wenn man wollte, nach jedem Vorfall einen Personenkreis von allerhöchstens 100 oder eher 50 Personen in den Blick nehmen. Doch offenbar besteht da nur geringes Interesse an Fahndungserfolgen.

Warum sollte man denn kein Interesse an Fahndungserfolgen haben? Es werden ja nicht alles V-Leute sein.

Die Berliner Polizei hat da eine relativ unrühmliche Tradition: Verharmlosung oder Zuschauen waren an der Tagesordnung, hinterher wurde vieles als Beobachtung der Szene schöngeredet. Und gerade in Brandenburg, in den kleineren Städten und Dörfern, muss man feststellen, dass sich der Fahndungsdruck nicht unbedingt auf die rechte Szene auswirkt. Da besteht eher ein Druck auf alle, die dem rechten Terror Einhalt gebieten wollen.

Der Verfassungsschutz in Berlin wie in Brandenburg und die Innenminister beider Länder betonen jedoch, dass die rechtsterroristischen Aktivitäten in erster Linie Reaktionen auf linke Gewalt seien. Entspricht das Ihren Erkenntnissen?

Ich glaube, das ist eine vollkommen unsinnige Einschätzung dessen, was Faschismus ist. Wir sollten uns klarmachen, dass Faschismus nichts anderes als Terror ist. Die permanente Behauptung, dass es sich hierbei um Reaktionen auf Gewalttaten handelt, ist eine Verdrehung des Zustands. Damit werden die handelnden Nationalsozialisten zu Opfern gemacht. Ich denke, die grundsätzliche Fehleinschätzung der Sicherheitsbehörden geht genau auf diese Verdrehung der Perspektive zurück. Möglicherweise ist die Laxheit im Umgang damit auch zu erklären.

Gerade das Beispiel Königs Wusterhausen ist prädestiniert zu zeigen, dass diese Version, dass Linke und Rechte sich aufschaukeln würden, nicht stimmt. KW ist eher ein Beispiel, wie Nazis sich entfalten können, wenn es keinen staatlichen und keinen zivilgesellschaftlichen Druck auf rechte Strukturen gibt. Wie wirkt sich Ihrer Einschätzung nach die Enttarnung des V-Manns auf die Szene aus?

Die Enttarnung eines überhaupt nicht unwichtigen Kaders der Szene – szeneintern wird S. als einer der einflussreichsten Neonazis der bundesdeutschen Szene benannt – führt mit Sicherheit in weiten Teilen zu Verunsicherung und weiteren Diskussionen. Das lässt sich unter anderem in entsprechenden Diskussionsforen im Internet nachvollziehen. Dort wird bei weiteren Personen spekuliert, ob sie V-Männer sind.

Interview: BARBARA JUNGE und HEIKE KLEFFNER

Michael Thomas ist Redakteur beim „Antifaschistischen Infoblatt Berlin“, das seit zwölf Jahren über die rechte Szene informiert.

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