piwik no script img

Norwegerpullover und null Bock

Zeitgeschichte im Fernsehsessel (Teil 3): Am Anfang der 80er gibt’s für jeden etwas: Talk mit intellektuellem Touch bei Bio, Anleitungen zum Fummeln beim WDR, obskure Wetten bei Elstner und düstere Szenen auf dem Berliner Alexanderplatz

von KARL WACHTEL

Wir waren frustriert, fühlten uns im Nachhinein eingeseift. Klar, wir waren vor den Fernsehschirmen Fußballweltmeister geworden, aber draußen wehte ein neuer Wind. Willy Brandt musste gehen, Helmut Schmidt kam, und damit war Politik für uns nicht länger integrationsfähig. Arbeitslosigkeit, Nato-Gehorsam, Atomenergie oder Innere Sicherheit waren die vorherrschenden Themen, und die Jugend setzte sich enttäuscht ab. Sie suchte sich „selbstbestimmte“ Lücken und Nischen, anwortete auf die wieder belebte Staatsmacht entweder mit innerer Einkehr oder harter Konfrontation. Soziologen sprachen von der „Diversifizierung“ der Gesellschaft.

Diversifiziert war auch das Fernsehprogramm. Wollten wir uns mit linksintellektuellem Touch unterhalten lassen, gingen wir in „Bios Bahnhof“ (1978). Talk und Varieté zwischen Mauerwerk und Stahlträgern. Das war sozio-kulturell und politisch korrekt – ganz nach dem Motto: „Kunst und Kultur: weg von den Zentren, hin zu den Rändern“.

Hatten wir mehr Lust auf Randale und „Nullbock-Attitüde“, dann klinkten wir uns bei Radio Bremen ein und staunten nicht schlecht, wie in der Jugendsendung „Klons“ (1984) „Punkzicke“ Miko mit Schattenaugen und Fanta-Dose im Anschlag geladene Gäste und Studiopublikum verbal gnadenlos ablederte und Maulkörbe verteilte. Wollten wir eher kuscheln, dann war es Jürgen von der Lippe, der bei seiner Sendung „So isses!“ (1984) die Stirn hatte, das Unglaubliche zu tun. Er moderierte in Norwegerpullover und Turnschuhen, lud zum Kölsch und vertraulichen Talk ein und versuchte, via Fernsehen Flirtbekanntschaften zusammenzubringen.

1981 war es so weit. Geahnt hatten wir es, dass sie uns einen Bären aufgebunden hatten, als es Jahre zuvor hieß: „Das Öl ist alle!“ Die amerikanische Serie „Dallas“ war der eindeutige Gegenbeweis dafür. Gleichzeitig untermauerte sie in Gestalt des Badman J.R. den Verdacht, dass das „dickflüssige Gold“ nicht nur die Meere, sondern auch die Seelen verpestet. Wem das alles zu anspruchsvoll oder ölig-intrigant war, begnügte sich mit Fernsehen „light“. Beim „Großen Preis“ (1979) war genug Platz an der Brust des gemütlichen Wim Thoelke, mehr noch opferten den Samstagabend dem Moderatoren-Knäckebrot Frank Elstner bei „Wetten, daß ...?!“ (1981) oder goutierten einen Bigamisten mit Namen Peter Weck, der zugab „Ich heirate eine Familie“ (1983) – sensationelle Quote damals: 48 Prozent! Für uns war das nichts. Wir wollten Aufklärung, Kritik und Enthüllung. Das Fernsehen zeigte sich offen und einsichtig: Wir sahen die US-Serie „Holocaust`“(1979), „Aus einem deutschen Leben“ (1979) von Theodor Kotulla, der sich mit der Biografie des KZ-Kommandanten von Auschwitz befasste, das Fernsehspiel „Plutonium“ (1978) von Rainer Erler, die 13-teilige Verfilmung des Romans von Alfred Döblin, „Berlin Alexanderplatz“ (1980) durch Rainer Werner Fassbinder und die Kritik an der Terroristenbekämpfung im Fernsehfilm „Messer im Kopf“ (1981) von Peter Schneider und Reinhard Hauff. Und es gab, so richtig nach unserem Geschmack, Zoff!: Bei Helma Sanders’ Fernsehspiel „Shirins Hochzeit“ (1976) von der türkischen Bevölkerung, bei Ingmar Bergmanns „Szenen einer Ehe“ (1976) von den Familienverbänden, bei der Folge „Auch Fummeln muß man lernen“ der WDR-Jugendsendung „Alles klar!?“ (1979) von den üblich katholischen Kreisen Bayerns und bei einem Open-End-Hearing des ZDF zum Thema „Eine neue Jugendrevolte“ (1981), als zwischen jugendlichen Hausbesetzern, Politikern und Experten die Fetzen flogen.

Kein Wunder, dass diese Jahre auch zur Hochzeit der politischen Magazine wurden: „Panorama“, „Monitor“, „Report“ aus Baden-Baden, „Kennzeichen D“ oder auch Magazine wie „Kein Platz für Tiere“ von Horst Stern. Sie deckten auf, stellten gegenüber, holten an die Oberfläche, benannten Täter und Opfer und machten mobil gegen gesellschaftliche Selbstgefälligkeit und politische Ignoranz.

Was gab es noch? Wir mussten Abschied nehmen von sehr Vertrautem: Hoss und Joe trieben 1977 zum letzten Mal die Herden von der Westweide zur Ostweide, und Ilja Richter musste 1982 seine „Disco“ wegen Einsturzgefahr schließen.

Und da waren noch die Mahner jener Tage, die die Magazinisierung des Fernsehprogramms beklagten. Sie sprachen von „Häppchenkultur“ und dem „Fernsehen als Gemischtwarenladen“ ...

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen