: Antworten bringen überhaupt nichts
■ Nur scheinbar paradoxe „Interrogations“ auf Kampnagel: Der japanische Schauspieler und Tänzer Yoshi Oida befragt das Publikum über den tieferen Sinn des Lebens
Yoshi Oida schlägt knallend ein Bündel Bambus auf den Boden. In einer fließenden Bewegung erhebt sich der japanische Schauspieler aus dem Schneidersitz, seine Hände vollführen sich drehende, wirbelnde Bewegungen. Schließlich zeigt der Mann dem Publikum die Innen- und Außenseite seiner rechten Hand und fragt: „Ist das vorne oder ist das hinten?“ Sein Mitspieler Dieter Trüstedt schlägt in rascher Folge zwei Steine zusammen: klack-klack, klack-klack. Yoshi Oida lässt nicht locker, seine Augen fixieren die Gesichter in der vollbesetzten Kampnagel-Halle: „Ist das vorne oder hinten?“, fragt er erneut.
Mit solchen und ähnlichen „Interrogations“, also Befragungen schlüpft der 67-Jährige in die Rolle eines Zen-Buddhistischen Meis-ters, der das Publikum als SchülerInnen anspricht. Und Yoshi Oida schwingt auch mal drohend den Bambusstock, wenn der „Schüler“ keine Antwort weiß auf Fragen wie: „Bewegt sich das Geräusch zum Ohr oder geht das Ohr zum Geräusch?“
Das Publikum reagiert zunächst mit unsicherem Gelächter. Aber ein schelmisches Augenzwinkern vom Meister macht bald deutlich, dass die unlogisch erscheinenden Fragen vor allem auf eines zielen: Nicht das Fragen, sondern das Antworten ist unsinnig.
Die quälende Suche nach einer Antwort illustriert er auch mimisch und gestisch: Grimassenschneidend und quietschend stößt er eine Folge von Zahlen aus, heftig atmend sagt er die Buchstaben des Alphabets in einer unorthodoxen Reiabets in einer unorthodoxen Reihenfolge auf. Dazu spielt der Experimentalmusiker Dieter Trüstedt auf einer Rahmentrommel oder entlockt seinem selbst gebauten Saiteninstrument sphärisch anmutende Klänge.
Es war kein philosophischer Exkurs in den Zen-Buddhismus, sondern eher ein Gespräch und eine Meditation zugleich, was die beiden Künstler aufführten. Yoshi Oida und Dieter Trüstedt gelang es, mit ihren präzise getimten Fragen, Dialogen und Gesten das Publikum in ihr Spiel mit einzubeziehen. Auch wenn die Frage nach dem Sinn des Lebens offen blieb, einen Rat konnte der japanische Schauspieler den ZuschauerInnen auf ihren Weg nach Hause mit geben: „Wenn du auf eine Tasse Tee triffst, trink sie aus. Wenn dir Essen vorgesetzt wird, iss es auf. Wenn dir Probleme begegnen, geh schlafen.“
Sven Tietgen
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