piwik no script img

Barockes Flanieren

Einmal Stade und zurück: Vor den Toren Hamburgs liegt eine der ältesten und besterhaltenen Städte Norddeutschlands  ■ Von Heinz-Günter Hollein

Das Wetter muss gar nicht mal gut sein. Wenn einen der „Hansestar“ mit 65 Kilometern pro Stunde elbabwärts wiegt und die aufge- schäumte Gischt über die Kabi- nenfenster des Elbe-City-Jets perlt, kommen allemal Seefahrergefühle auf. Nach exakt 45 Minuten in der High-Speed-Fähre ist der Anleger Stadersand erreicht, und ein biederer Linienbus setzt ihre Passagiere eine Viertelstunde später im Zentrum Stades ab, am Pferdemarkt. Von hier aus lässt sich eine der äl-testen und besterhaltenen Städte Norddeutschlands bequem zu Fuß erkunden. Eine Entdeckung der Langsamkeit für 16 Mark (einfache Fahrt).

Der Altstadtkern mit seiner Aus- dehnung von 10 mal 20 Gehminuten wirkt selbst an einem beliebigen Wochentag zeitlupig-still. Aus St. Cosmae et Damiani dringen die vollen Klänge einer Barock-Orgel, dem Gesellenstück Arp Schnittgers, der hier bei Meister Huß sein Handwerk lernte, bevor ihn die lukrativere Auftragslage nach Hamburg lockte. Zwischen den verwinkelten Fassaden aus rotem Backstein und braunem Fachwerk führen die Gassen am Johannis-Klos-ter vorbei über das Kopfsteinpflaster den Spiegelberg hinauf, dermaleinst Sitz der Grafen von Stade. „Bürgerstraße“ und „Säbelberg“ erinnern daran, dass die Stader 1209 ihr Stadtrecht nicht geschenkt bekamen.

Von der gräflichen Burg ließen sie denn auch nichts übrig, sondern bauten lieber den alten Hafen aus, dessen restauriertes Grachtpanorama mit seinen Bistros und Cafes heute Stades Schaustück ist. Die Geschlossenheit seines Stadtbildes verdankt Stade einer Katastrophe. 1659 verwüstete der „große Brand“ zwei Drittel der Innenstadt. Vom mittelalterlichen Kern existiert nur noch das gotische Gewölbe unter dem Rathaus. Im „Schwedenspeicher“ bietet das Heimatmuseum einen Überblick der Stadtgeschichte, am Fischmarkt zeigt eine Ausstellung im bulligen hölzernen „Tretkran“ von 1661, weshalb die einstige Hansestadt (bis 1601) ein Kleinod blieb. Die Versandung des Elbzubringers, der „Schwinge“ ließ den großen Handel allmählich zum Erliegen kommen, es blieb der Kleinschiffbau von Ewern und Küstenmotorschiffen. Nach fast 400 Jahren lief 1976 mit der „Voline“ das letzte Schiff in der Stader „Warfft“ vom Stapel.

Das bäuerliche Leben des Umlandes zeigt das Freilichtmuseum „Auf der Insel“ im Burggraben, der sich vom Anleger an der Woltmannbrücke aus auch per Tretboot erfahren lässt. Moderneren Geistern sei das Technikmuseum empfohlen, das, eine Station mit der Buslinie 6 Richtung Stadersand, eine charmante Sammlung Stader Fortbewe-gungsarten präsentiert – vom Dampftraktor „Angelika“ bis zum „HamsterFahrrad“ des Jahres 1946. Zweiräder jüngeren Datums lassen sich auch zu anderen Touren nutzen: zum Beispiel 10 Kilometer den Deich entlang nach Norden Richtung Grauerort. Dort liegen in einem Wald verborgen die martialischen Ruinen einer Artilleriefestung, die die Preussen 1879 zur Sicherung der Elbe in den Ufersand setzten (leider nur sonntags zu besichtigen).

Wochentags sollten sich Ausflügler unbedingt noch eine Stunde Zeit nehmen, um einfach nur zu „shoppen“. Stades Läden und Boutiquen sind zwar klein, ihr Angebot aber keineswegs kleinstädtisch. Und vom Pferdemarkt sind es dann nur noch fünf Minuten zum Bahnhof, von wo der stündliche Pendlerzug den fußmüden Flaneur zurück nach Hamburg schaukelt, für 15,40 Mark, die S-Bahn bis Landungsbrücken inklusive.

Informationen (Stadtführungen, Fahrradverleih, Veranstaltungen) gibt das Infobüro im „Zeughaus“ am Pferdemarkt: Tel. 0 41 41/40 91 70 oder das Internet unter www.aktuelles-stade.de Der Elbe-City-Jet fährt im Sommer 9mal täglich (letzte Rückfahrt 18.45 Uhr). Am Ticket-Schalter an den Landungsbrücken sind auch Stadtpläne und kostenlose Broschüren über Stade und Umgebung erhältlich. Für Autofahrer : Der größte gebührenfreie Parkplatz ist am Bahnhof (von der B 73 über die Harburger Straße den P+R-Zeichen folgen). Übrigens: Donnerstags ist der Eintritt in öffentlichen Museen frei

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen