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Der Hänsel nahm die Gabel

Hildegunst von Mythenmetz, der Meister der Anschweifungen, legt sein neues Meisterwerk „Ensel und Krete“ vor. Walter Moers hat es kongenial aus dem Zamomischen übersetzt und reich illustriert

von JENNI ZYLKA

Ensel und Krete verliefen sich im Wald.

Ensel und Krete sind aber nicht Hänsel und Gretel. Ensel und Krete sind Fhernhachenzwerg-Kinder, Bewohner Zamoniens, dem Land mit der „Süßen Wüste“ in der Mitte, der tatzenförmigen „Tatzeninsel“, der Irrlichter Bucht und eben jenem fjordigen Küstenstreifen „Fhernhachingen“. Die Zamonier machen außer an den Buchten und auf den merkwürdigen Inseln am liebsten Urlaub im „Großen Wald“.

Es war so finster und auch so bitterkalt.

Das stimmt wiederum auch nicht ganz. Der „Große Wald“ ist nämlich von den regenbogenfarbenen Buntbären fast ganz domestiziert. Dort, wo die umtriebigen Buntbären, die übrigens alle unterschiedliche Fellfärbungen tragen, den Wald erschlossen haben, ist er überhaupt nicht finster und bitterkalt. Eher hell, geschäftig und touristisch. Es führen Waldwege von Fort Palisadentrutz nach Honing, von Akazien über Blockshütten nach Reblausitz, Wege, gesäumt von Gasthöfen und Pensionen, Schenken, Lagerfeuerplätzen und Ameisenbauten. Wege, von denen man allerdings auf gar keinen Fall abweichen darf!!

Sie kamen an ein Häuschen aus Pfefferkuchen fein. Wer mag der Herr wohl von diesem Häuschen sein?

Das ist nur die ungefähre Handlung. Eigentlich wollen die Fhernhachenkinder, die laut dem berühmten zamonischen Wissenschaftler Prof. Dr. Abdul Nachtigaller übrigens über „so genannte Fhernhachenbäckchen“ – gebildet durch das breite Lächeln – verfügen, diese Kinder wollen nur mal ein bisschen im Wald herumstreunen. Sie kommen also vom Weg ab, hören die ansonsten prima zur Orientierung geeigneten Gesänge der Brandwächter-Bären nicht mehr („Knistern ist uns nicht geheuer, denn wo’s knistert, qualmt oft Feuer. Ja, die Brandwächter, die sind wir. Nur zum Löschen sind wir hier. Feuer mit Wasser, Durst mit Bier . . .“), und irgendwann viel, viel später kommen sie an das Häuschen. Ein Hexenhäuschen, versteht sich.

Hu, hu, da schaut eine alte Hexe raus! Sie lockt die Kinder ins Pfefferkuchenhaus.

Auch ganz falsch. Die Hexe kommt bei Moers ganz zum Schluss. Und sie sieht überhaupt nicht aus wie eine normale Hexe, eigentlich ist sie kaum zu beschreiben. Ziemlich früh in der Geschichte erfährt man jedoch, dass „Hexen immer unter Birken stehen“. Bis man weiß, was das bedeutet, hat man fast das ganze zamonische Märchen hinter sich gebracht, hat fiese Trolle und redselige Orchideen erlebt, hat die Fhernhachenkids mit einem brutalen Laubwolf kämpfen sehen, und hat vor allem etwas über die so genannte Mythenmetz’sche Abschweifung gelernt. Hildegunst von Mythenmetz, das Drachen-Reptil-ähnliche Wesen, das „Ensel und Kretel“ geschrieben hat (aus dem Zamonischen übertragen und illustriert von Walter Moers), greift immer wieder mit Abschweifungen in das Geschehen ein. Wie Erich Kästner in „Pünktchen und Anton“, um einen geschwätzigen Gedanken zum Thema Moral loszuwerden, um den verhassten Literaturkritiker Laptantidel Latuda zu diffamieren oder auch nur so, wenn es gerade spannend ist.

Sie stellte sich gar freundlich, o Hänsel, welche Not! Ihn wollt sie braten im Ofen braun wie Brot.

Gefährlich ist es allemal im zamonischen Buntbären-Wald. Es gibt einen Pilz, dessen bloßer Geruch Halluzinationen der übelsten und realistischsten Art beschert, davon können die Fhernhachenkinder ein Lied singen! Und bis sie zum Schluss end- lich . . . aber das darf man eigentlich nicht verraten. Obwohl klar sein dürfte, wie ein Märchen, selbst ein zamonisches, ausgeht.

Doch als die Hexe zum Ofen schaut hinein, ward sie gestoßen von Hans und Gretelein. Die Hexe musste braten, die Kinder gehn nach Haus. Nun ist das Märchen von Hans und Gretel aus.

Hildegunst von Mythenmetz, der Meister der Abschweifung, der auch schon bei Moers’ erstem erzählerischem Werk „Die 13 [1]/2 Leben des Käptn Blaubär“ die Krallen im Spiel hatte, ist mit „Ensel und Krete“ ein schönes Buch gelungen. Es ist weniger spannend als die zu Recht viel umschwärmten Harry-Potter-Bände, denn es verliert sich hin und wieder in Geschwätzigkeit, und es betrachtet das Phantasie- oder Parallelland Zamonien immer mit der leicht überheblichen Ironie, die ein Erwachsenenbuch von einem Kinderbuch unterscheidet. Joanna K. Rowling nimmt ihren Helden Potter ernst, darum wird er auch vom Leser ernst genommen. Der medienscheue Moers, der sich schon lange nur noch dem Schreiben widmet und die Blaubär-Rechte abgegeben hat, beziehungsweise sein Alter Ego Mythenmetz machen dagegen keinen Hehl daraus, dass das Buch und seine ProtagonistInnen auf eine Moers’sche Art albern sind. Hinter jeder Ecke lauert eine Figur aus Moers’ Blaubär-und-Konsorten-Figurenschatz, ein kleines Arschloch als Troll oder ein Hein Blöd als Buntbär. Und „Ensel und Krete“ hat eine bodenständigere, weniger esoterische und trotz Buntbären nicht ganz so bunte Phantasie wie Michael Endes „Momo“ oder „Die unendliche Geschichte“, auch wenn die Idee mit den beiden Erzählebenen bei Ende abgespickt scheint. Apropos Ende: Der hat auch mal ein Gedicht zum Thema gemacht. Es heißt „Ein sehr kurzes Märchen“. Und es geht so:

Hänsel und Knödel, die gingen in den Wald. Nach längerem Getrödel rief Hänsel plötzlich „Halt!“ Ihr alle kennt die Fabel, des Schicksals dunklen Lauf: Der Hänsel nahm die Gabel und aß den Knödel auf.

Walter Moers: „Ensel und Krete“, Eichborn 2000, 258 Seiten, 39,80 DM

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