: Türkei bleibt atomfrei
Nun will die Türkei wohl doch keinen Meiler in das erdbebengefährdete Akkuyu bauen. Ablehnung im Kabinett gilt nur noch als eine Formsache
aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH
Rund 100 Leute wollten auch am letzten Tag keine Gelegenheit auslassen, um gegen den geplanten Bau eines Atomkraftwerkes zu protestieren. Mit Transparenten hatten sie sich gestern vor dem Energieministerium in Ankara eingefunden, um die letzte Entscheidung der Regierung abzuwarten. Bereits im Vorfeld hatte sich herumgesprochen, dass der geplante Reaktor in Akkuyu vor dem Aus steht.
„Energieminister Ersumer konnte Ministerpräsident Ecevit von Akkuyu nicht überzeugen“, hatte die Tageszeitung Milliyet bereits am Wochenende berichtet. Das in der Ausschreibung aussichtsreichste Unternehmen, Westinghouse, soll angekündigt haben, seine Bewerbung zurückzuziehen, falls wieder keine Entscheidung falle. Damit bliebe das französisch-deutsche Duo Framatome-Siemens mit ihrer Nuklartochter NPI und der kanadische Konzern AECL im Rennen. Inoffiziell heißt es aber in Ankara, ein Rückzug von Westinghouse wäre die erwünschte Gelegenheit, dass Projekt sterben zu lassen.
Bereits siebenmal war die Entscheidung bisher verschoben worden, wer den Zuschlag für den Bau des ersten Reaktors bekommen soll. Gestern Nachmittag wurde sie noch einmal auf heute verschoben. Das wird das Projekt wohl nicht mehr retten.
Der Bau eines AKWs in Akkuyu, einem Städchen an der südtürkischen Mittelmeerküste, ist umstritten, weil in nur zwanzig Kilometer Entfernung ein seismischer Graben verläuft, der bei einem Erdbeben aktiv werden könnte. Der Erdbebengefahr könnten Reaktorbauer in der Türkei aber insgesamt nur schwer entgehen, weil rund 95 Prozent des Landes als erdbebengefährdet eingestuft sind.
In der Türkei gibt es immer wieder Energiemangel. Gerade kündigte das Energieministerium wieder an, wegen des niedrigen Wasserstands in vielen Stauseen von Wasserkraftwerken müsste der Strom vielleicht bald rationiert werden. Dennoch liegt die gesellschaftliche Akzeptanz für AKWs unter fünfzig Prozent. Am Wochenende übergab eine landesweite Initiative 75.000 Unterschriften gegen Akkuyu.
Ministerpräsident Ecevit dürften die Proteste aber wenig beeindruckt haben. Entscheidender für seinen Stimmungswandel dürfte der deutsche Atomkonsens über den Ausstieg gewesen sein. Warum sollte die Türkei nun in eine Technik einsteigen, die in führenden Industrienationen bereits wieder ad acta gelegt wurde? Zum anderen sind AKWs einfach teuer. Das Schatzamt hat bereits vor Wochen angekündigt, dass für Akkuyu kein Geld da sei und das mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbarte Sanierungsprogramm der türkischen Staatsfinanzen scheitert, falls Akkuyu gebaut werde. Die türkische Regierung hatte in einem Stand-by-Programm mit dem IWF als Zielvorgabe beschlossen, die Inflation von rund 65 auf 25 Prozent zu senken. Dieses Ziel konnte durch drastische Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst einigermaßen eingehalten werden – trotz heftiger Gewerkschaftsproteste. Diesen Erfolg will Ecevit nun nicht durch einen teuren Reaktorbau gefährden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen