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Die neuen Aussitzer atmen durch

Die Auseinandersetzung zwischen der Konsensbereitschaft Angela Merkels und dem Konfrontationskurs Friedrich Merz’ wird auf ungewisse Zeit vertagt

von BETTINA GAUS

Erst Familienkrach, dann Versöhnung und schließlich ein Bild der Geschlossenheit: So wünschte sich die CDU-Spitze gestern den Verlauf der Krisensitzung des Parteipräsidiums in Berlin. Nichts solle „unter den Teppich“ gekehrt werden, hatte Generalsekretär Ruprecht Polenz versprochen – und hinzugefügt: „Das Entscheidende ist, dass man hinterher eine gemeinsame Sicht der Dinge hat.“ Wo sollte die herkommen? Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Union sind ja nicht aus einer Laune heraus entstanden. Sie gründen auf inhaltlichen Differenzen, auf widerstreitenden Interessen und auch auf einem unterschiedlichen Verständnis der eigenen Rolle in der Opposition.

Darüber wollte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel gestern nicht so gerne reden. Ein „klarer, aber freundschaftlicher Umgangston“ habe auf der Sitzung geherrscht, sagte sie auf der anschließenden Pressekonferenz. Sie ziehe das Fazit, „dass wir kämpferisch in die Zukunft blicken“. Was das konkret heißen soll, bleibt abzuwarten. Zum Beispiel hinsichtlich der Zukunft der Rentengespräche. „Ob es in dieser Frage eine Gemeinsamkeit geben kann, das wird sich in der kommenden Wochen herausstellen“, teilte sie mit. Jedenfalls seien inhaltliche Fragen in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt worden.

Aha. Und wer hat sich nun durchgesetzt? Das ließ Angela Merkel offen. In den Tagen vor der Krisensitzung hatten zahlreiche Interviews eine Zuspitzung des Konflikts angedeutet, der auf die schlichte Formel hinausläuft: Angela Merkel ist prinzipiell zur Zusammenarbeit mit der rot-grünen Regierung bereit. Der Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz meint, die Opposition solle sich nicht in der Suche nach Konsens, sondern im Konflikt mit der Regierung profilieren. Zusammen mit der Frage nach dem künftigen Kurs stellt sich somit auch die Machtfrage in der Partei.

Gewünscht war der Konflikt von beiden Seiten wohl nicht, jedenfalls nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Bei ihrer Wahl sahen Angela Merkel und Friedrich Merz es als ihre vordringlichste Aufgabe an, die Partei gemeinsam aus der Krise herauszuführen. Aber war nicht die Rivalität angesichts der bevorstehenden Entscheidung über die Kanzlerkandidatur unausweichlich? Diese Frage halten derzeit viele in der CDU für absurd. Wenn sich die Lage so weiterentwickle wie bisher, dann werde man die Stelle ausschreiben müssen, so ist zu hören. Niemand ließe sich gerne in ein aussichtsloses Rennen schicken.

Der Richtungskampf im Führungsduo der CDU war dennoch wohl unvermeidlich. Das hat auch mit der politischen Sozialisation der Beteiligten zu tun. Der westdeutsche Friedrich Merz ist in dem Bewusstsein einer strukturkonservativen Mehrheit der Bundesbürger aufgewachsen, die den Sozialdemokraten und vor allem ihrer Wirtschaftspolitik grundsätzlich sekptisch gegenübersteht. Die ostdeutsche Angela Merkel hat weniger Grund als Merz, an die prinzipielle Sympathie der Bevölkerung mit dem konservativen Lager zu glauben.

Um herauszufinden, wer einen Machtkampf in der CDU für sich entscheiden wird, empfiehlt es sich, einen Abgeordneten aus der zweiten Reihe wie beispielsweise Friedbert Pflüger zu beobachten. Der hat seit jeher ein feines Gespür für Sieger und Verlierer. Kürzlich schrieb er in einem Thesenpapier, dass es nicht auf die Zahl der Konflikte mit der Regierung ankomme, sondern auf die „sachliche Qualität der Argumente“. Seine Parteivorsitzende dürfte das gerne gelesen haben.

Brisanz gewinnt dieser Satz von Pflüger jedoch nur vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Auseinandersetzung. Für sich genommen ist er eine unwiderlegbare Banalität, der auch Friedrich Merz nicht widersprechen würde. Aber aus Sicht des Fraktionsvorsitzenden bestehen eben sachlich schwerwiegende Einwände gegen die rot-grüne Steuerreform. Über diese Bedenken wird allerdings seit der überraschenden Niederlage der Union im Bundesrat nicht mehr gesprochen. Im Gegenteil: Wer Angela Merkel in den letzten Tagen zuhörte, konnte den Eindruck gewinnen, sie habe von Anfang an vergeblich für eine Zustimmung zur rot-grünen Steuerreform geworben. Kritik übt sie am Verfahren, nicht mehr an der Sache.

Auf Absprachen muss man sich verlassen können: Wenigstens in dieser Forderung sind sich die führenden Bundespolitiker der Partei einig. Aber diese Forderung zeugt zugleich von Unerfahrenheit. Mit dem Versuch, die bundespolitische Opposition auf Länderebene zu spalten, ist schon Helmut Kohl mehrfach erfolgreich gewesen. Die SPD fand erst dann zu ihrer geschlossenen Haltung, als sie den Sieg bei den nächsten Bundestagswahlen in greifbarer Nähe sah. So optimistisch ist aber bei der CDU derzeit kaum jemand. So wollten wenigstens die Landesfürsten retten, was zu retten ist, und verweisen auf ihre regionalen Interessen. Die Frage, wer wen von welchem Abstimmungsverhalten wann informiert hat, blieb bis zuletzt umstritten. Widersprüchliche Aussagen dazu machten nur knapp vor dem wechselseitigen Vorwurf der offenen Lüge halt. Schwamm drüber. „Wir können sagen, dass nach offenen Worten die Bewältigung dieses Ereignisses beendet ist“, sagte gestern Angela Merkel.

Aber es sollte ja gestern vor allem um die Zukunft gehen. Die liegt noch im Nebel. Die mögliche Teilnahme der Union an den Rentengesprächen, das Verhalten der Opposition bei der nächsten Abstimmung über die Steuerreform im Bundestag – es wird sich weisen. Die CDU-Vorsitzende hat im Vorfeld der Krisensitzung mehrfach eine „reine Verweigerungshaltung“ gegenüber der Regierung für falsch erklärt. Aber was ist darunter zu verstehen? Merz möchte anhand eines vorliegenden Gesetzentwurfs der Regierung über die Rentenreform diskutieren. Der Fraktionsvorsitzende findet es seltsam, dass ein solches Ansinnen bereits als Fundamentalopposition gilt, und beklagt eine „schleichende Entparlamentarisierung“ in der Bundesrepublik. Er wendet sich gegen Absprachen in Hinterzimmern. Angela Merkel hingegen meint, dass die Mehrheit der Bevölkerung offenen Streit auf der politischen Bühne nur selten goutiert. Vermutlich werden beide CDU-Führungskräfte relativ viel Zeit haben, um herauszufinden, wer Recht hat.

Personelle Alternativen zu Merz und Merkel sind nicht in Sicht. „Es ist uns seit dem 14. Juli noch mal bewusst geworden, dass wir in der Opposition sind“, erklärte die CDU-Vorsitzende gestern. Nicht ohne schnell hinzuzufügen, „dass wir Gerhard Schröder für besiegbar halten“. Gewiss. Aber wann?

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