Fluglärm – ja und?

■ Fünfmal Recht gebrochen, dann tut ein sechstes Mal auch nicht mehr weh – findet das Oberverwaltungsgericht

Wie war das mit der rechten und der linken Wange und gleich noch mal draufhauen? So in etwa fühlt sich derzeit Bauer Wähmann, wenn als Ergebnis auch kaum biblische Belohnung lockt. Die eine Wange wären fünf Dasa-Starts vor seinem Hof in Flughafennähe, um die Landwirt Heinrich Wähmann hätte um Erlaubnis gefragt werden müssen. Die andere Wange wäre der sechste Start, der laut Vereinbarung zwischen Bremen und Dasa noch aussteht und den Wähmann nun doch bitte hinnehmen solle. Die anderen fünf hätten ihm schließlich nicht weh getan. So lautet ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, der der taz nun vorliegt.

Erst mal ein paar Takte zur Vorgeschichte. Landwirt Wähmann hat das Recht einer Baubeschränkung für ein an sein Land angrenzendes Grundstück. Das gehört der Stadtgemeinde, hängt am Flughafen, und nach einigem Hin und Her einigten sich Wähmann und Stadt darauf, dass der Bauer dort den Bau einer Sonderstartbahn erlaube, die jedoch nur für den Transport von Airbusflügeln in bestimmten Flugzeugen, den so genannten Super Guppys, genutzt werden darf. Ansonsten, so heißt es in der Vereinbarung, hat Wähmann das Recht „verlangen zu können, einen über diesen Umfang hinausgehenden Betrieb zu unterlassen.“ Genau einen solchen darüber „hinausgehenden Betrieb“ aber hat der Wirtschaftssenator der Dasa erlaubt, nämlich sechs Starts eines Flugzeugtyps mit dem klangvollen Namen „VFW614-ATD“ zur Erprobung eines Lenksystems, gültig von Juli 1999 bis Juli 2000. „Dafür“, sagt Wähmanns Anwalt Ludolf Lübking, „hätte die Stadt Herrn Wähmann fragen müssen.“ Hat sie aber nicht. Als die Wähmanns im Dezember merkten, dass noch ganz was anderes als die Super Guppys vor ihrem Hof abhoben, beantragten sie eine einstweilige Anordnung, die weitere Extra-Starts verbieten sollte. Da waren bereits vier von sechs absolviert. Das Verwaltungsgericht gab den Wähmanns Recht (die taz berichtete).

Die Stadt ging in die nächste und letzte Instanz, zum Oberverwaltungsgericht (OVG). Inzwischen war auch der fünfte Extra-Start vorüber. Das OVG hat nun genau das Gegenteil beschlossen. Die Stadt hatte argumentiert, dass es zwar den Vertrag mit Wähmann gebe, aber zugleich den Vertrag mit der Dasa über die Sonderstarts. Und da erklärt das Gericht: „Eine zivilrechtliche Bindung wird nicht allein dadurch widerrufbar, dass der Erklärende mit der Eingehung der Bindung einer anderweitigen zivilrechtlichen Verpflichtung zuwiderhandelt.“ Verschwiemelt bestätigt das OVG damit die Sichtweise der Stadt. „Sophistisch“ findet das Anwalt Lübking.

Und weiter spricht das Gericht: „Es ist nicht erkennbar, dass dem Antragsteller (Bauer Wähmann, Anm. d. Red.) über die Nichterfüllung seines zivilrechtlichen Anspruchs hinaus ein gravierender Nachteil droht, der eine einstweilige Regelung nötig macht. Der noch ausstehende eine Flugzeugstart belastet den Antragsteller über die Tatsache der Nichterfüllung der städtischen Unterlassungspflicht hinaus nicht erkennbar.“ Das heißt, erklärt der Anwalt: „Weil Herr Wähmann nicht beeinträchtigt wird, kann man sein Recht ruhig verletzen.“ Und: „Dadurch, dass schon fünf Mal gegen dieses Recht verstoßen wurde, dürfen sie's auch ein sechstes Mal.“

Zwar bestätigt das Gericht, dass der Landwirt tatsächlich „Unterlassungsansprüche“ habe, allein die Dringlichkeit vermag das OVG nicht zu erkennen. Doch genau das, hält der Anwalt dagegen, sei doch Wähmanns einzige Möglichkeit sich zu wehren. Zumal während des Instanzengangs ein nicht-vereinbarter Start nach dem anderen erfolge. Lübking fasst zusammen: „Wähmann schließt einen Vertrag mit der Stadt. Die Stadt verstößt dagegen. Wenn er sich wehrt, sagt man ihm: Es ist nicht dringlich, du hast ja keinen Nachteil.“ Das, findet der Anwalt, „steht einer dem Recht verpflichteten Stadt nicht gerade gut an.“ Überdies trägt der Bauer die Kosten des Verfahrens, Streitwert: 8.000 Mark.

Gelassen bleibt Dettmar Den-cker, Leiter der Luftaufsicht beim Wirtschaftssenator. Angesichts Wähmanns „Unterlassungsanspruchs“ sagt er, das setze doch voraus, dass erst mal etwas zum Unterlassen da sei. Sprich: etwas, das über die vereinbarten Super-Guppy-Starts hinausgeht. Die sechs Starts von hinten gerechtfertigt. Gut, gesteht Dencker zu, das könne man spitzfindig nennen. Aber die Sondervereinbarung mit der Dasa habe er als Vertreter des Bundes geschlossen. Denn Luftfahrtangelegenheiten sind laut Grundgesetz Bundessache, der Bund gibt jedoch Verwaltungskompetenzen an die Länder ab. Dencker: „Ich bin in dieser Angelegenheit der Bund.“ Ergo sei die Vereinbarung mit Wähmann möglicherweise verletzt, aber von Bremen als Stadtgemeinde, nicht von Bremen als Verwalterin von Luftfahrtangelegenheiten.

Sechs Extra-Starts in zwölf Monaten, mag man denken, das sei doch hinzunehmen. Aber: „Es geht ja weiter“, sagt Wähmanns Anwalt Lübking. Im Mai hat ein Jumbo-Jet die Sonderstartbahn genutzt. Ohne Wähmann zu fragen. Ludolf Lübking fürchtet ein Aufweichen des Vetorechts seines Mandanten. Er hat gegen das Jumbo-Manöver geklagt. Die nächste Runde hat begonnen. Susanne Gieffers