: Reinbeker Rotationen
Die Krise des Rowohlt Verlags spitzt sich zu. Péter Nádas und Imre Kertész verlassen das Hamburger Verlagshaus, Elfriede Jelineks neues Buch, „Der Abschied“, erscheint im Berlin Verlag. Während Rowohlt-Chef Wilfert wieder mehr reden möchte, warten die Literaturagenturen auf neue Abgänge
von VOLKER WEIDERMANN
Als vor zehn Tagen der Literaturexpress von seiner Europafahrt zurückkam, standen Agenten und Verlagsvertreter Schlange, um einer neuen, erst wenige Wochen alten Disziplin des Betriebssports nachzugehen: dem Jagen von Rowohlt-Autoren. Denn nie war es so leicht wie heute, hoch renommierte Autoren aus scheinbar fest gefügten Verlagsbindungen herauszulösen. Die Krise des Rowohlt Verlags, eines der traditionsreichsten deutschen Häuser, verschärft sich von Tag zu Tag, und die restliche Branche versucht, von dem Niedergang so stark wie möglich zu profitieren.
Einen so massenhaften Exodus von Schriftstellern hat wohl noch kaum ein Verlag bislang erlebt. Vor einer Woche erklärten Péter Nádas und Imre Kertész ihren Abschied von der Rowohlt-Tochter Rowohlt Berlin. Gestern war im buchreport zu lesen, dass auch die Autoren Tilman Spengler und Carola Stern ihren Abschied vom Verlag nehmen. Das Internetmagazin „perlentaucher.de“ schreibt, dass auch Herta Müller Rowohlt verlässt.
Am härtesten dürfte den Verlag jedoch der befürchtete Abgang von Elfriede Jelinek treffen. Die österreichische Autorin, die seit dreißig Jahren bei dem Hamburger Verlagshaus unter Vertrag ist, scheint fest entschlossen, ihrem langjährigen Lektor Delf Schmidt zu folgen, von Rowohlt zum Berlin Verlag. So werden ihre zwei neuen Bücher im Herbst schon bei beiden Verlagshäusern erscheinen: der Roman „Gier“ bei Rowohlt und drei Prosastücke unter dem beziehungsreichen Namen „Der Abschied“ beim Berlin Verlag.
Ob das den endgültigen Bruch mit Rowohlt bedeutet, wollte sie gestern gegenüber der taz noch nicht bestätigen. Aber die Wut ist bei ihr, wie bei vielen anderen Rowohlt-Autoren groß: „Man hat das Gefühl, wie Jetons auf einem Spielbrett hin- und hergeschoben zu werden“, sagt Jelinek. Sie habe den Eindruck, dass man bei Rowohlt im Moment nicht mehr wisse, wer eigentlich das wirkliche Kapital eines Verlages darstelle: die Autoren, die man unter Vertrag hat.
Wer oder was auch immer die Schuld an den Verlusten der letzten Jahre trägt, klar ist: Die Bilanzen waren so miserabel – man spricht von 10 Millionen Mark Verlust allein im letzten Geschäftsjahr –, dass der Holtzbrinck-Konzern, zu dem die Rowohlt-Gruppe gehört, vor einiger Zeit die Wirtschaftsprüfer von McKinsey in die Verlagszentrale schickte, um nach Einsparmöglichkeiten zu suchen. Man fand wohl manches, und in der Folge kam es dann zu Veränderungen, die mit „Umstrukturierungsmaßnahmen“ sehr zurückhaltend umschrieben sind. In Berlin wurde fast die gesamte Mannschaft ausgetauscht, Lektoren verließen den Verlag, und dem Verleger Nikolaus Hansen stellte man mit Peter Wilfert zunächst einen Koverleger als „Aufräumer“ und Sanierer an die Seite. Inzwischen hat man sich auch von Hansen „einvernehmlich getrennt“, wie mittlerweile eine Rowohlt-Standardformel heißt.
Die Autoren gehen jedoch nicht nur wegen der schlechten Stimmung. Die meisten folgten ihren Lektoren. Imre Kertész wird in Zukunft bei Suhrkamp veröffentlichen, wo seine frühere Lektorin Katharina Raabe jetzt feste freie Mitarbeiterin ist. Jelinek gibt Delf Schmidt gleich ein Buch mit, und Péter Nádas hat den Zug der Zeit wohl am besten erkannt: Er setzt in Zukunft, wie viele jüngere Autoren es von vornherein tun, auf eine Agentur als verlässlichen Ansprechpartner. Die Berliner Literaturagentur Graf und Graf hat ihn unter Vertrag genommen.
Um Rowohlt steht es schlecht. Ob sich die Verlagsleitung der Dramatik der Situation in vollem Umfang bewusst ist? Von Rowohlt-Autoren, die zur Zeit ohne Lektor dastehen, kann man jedenfalls hören, dass sich die anwerbenden Verlage weit mehr um sie bemühen als der eigene Verleger. Peter Wilfert zeigt sich derweil reumütig: „Wir müssen intensiver mit unseren Autoren reden“, erklärte er in einem Gespräch mit der taz, „das ist in letzter Zeit vielleicht ein bisschen vernachlässigt worden.“ Man kann nur hoffen, dass aus der Disziplin Rowohlt-Autoren-Jagen nicht weiterhin neue erstaunliche Rekorde zu vermelden sind.
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