: Fahrgäste griffen ein
Potsdam: Rechte Schläger attackierten afrikanische Kinder. Doch diesmal stellten sich Bürger und ein Straßenbahnfahrer schützend vor die Opfer
von LUKAS WALLRAFF
Bei der Halbzeitbilanz seiner Regierung rief Gerhard Schröder diese Woche zum Kampf gegen den Rechtsextremismus auf und forderte: „Auf eine starke Zivilgesellschaft kommt es auch an, wenn es darum geht, mehr Zivilcourage zu zeigen.“
Am Dienstagabend haben Potsdamer Bürger Zivilcourage gezeigt. In einer Straßenbahn stellten sich mehrere Fahrgäste und der Fahrer schützend vor einen 13-jährigen Jungen aus dem Kongo und einen 14-jährigen Kenianer. Nach Angaben der Polizei waren die beiden Kinder von einer Gruppe alkoholisierter Männer mit den Worten „Scheiß Neger, was wollt ihr hier“ beschimpft worden. Anschließend wurde der 14-Jährige an einer Haltestelle aus der stehenden Bahn geschubst. Den 13-Jährigen attackierten die Täter mit Schlägen und Tritten. „Daraufhin“, so die Polizei, „schritten 10 bis 15 der ungefähr 40 Fahrgäste in der Straßenbahn ein und schützten das Kind vor weiteren Attacken.“
Der Straßenbahnfahrer Frank L. sprach zwei der Täter direkt an. Daraufhin wurde auch er beschimpft: „Du willst ein Deutscher sein und scheißt deine eigenen Landsleute zusammen.“ Frank L., so die Polizei, habe darauf geantwortet: „Ich scheiß jeden an, der Scheiße baut.“ Dank der tätigen Mithilfe des Fahrers, der dabei selbst angegriffen und verletzt wurde, konnten zwei Tatbeteiligte festgenommen werden. Ein 22-jähriger arbeitsloser Potsdamer ist in Haft.
Für den mutigen Fahrer gab es gestern Lob von allen Seiten. Die Bild-Zeitung schrieb: „Er hätte allen Grund, stolz zu sein.“ Ein Foto, auf dem man ihn erkennen könnte, wollte er jedoch nicht veröffentlichen lassen – „aus Angst vor den Leuten, die er in die Flucht geschlagen hat“.
Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck (SPD) wertete die Courage der Bürger als „Hoffnungszeichen“. Es sei erfreulich, dass „endlich mal“ Bürger aufgestanden seien und eingegriffen hätten. Gegenüber der taz sagte Platzeck: „Das ist genau die Haltung, die wir uns erhoffen.“
Auch der Sprecher der Potsdamer Polizei lobte noch einmal ausdrücklich das Verhalten der Bürger am Dienstagabend, betonte jedoch: „Das ist aber auch das einzig Positive.“ Leider sei der Übergriff kein Einzelfall. In der Vergangenheit habe es auch in der Potsdamer Straßenbahn immer wieder ähnliche Angriffe gegeben. Dass Bürger helfen, sei „leider nicht der Alltag“.
Platzeck, der seit einigen Wochen auch SPD-Vorsitzender in Brandenburg ist, forderte gestern ein noch entschiedeneres Vorgehen gegen Rechtsextreme. Darin stimme er mit Kanzler Schröder überein. Es sei ihm allerdings „ein bisschen zu eng“, wenn in diesem Zusammenhang stets auch die negativen Folgen für das deutsche Image erwähnt würden. Schröder hatte seinen Aufruf zum Kampf gegen rechte Gewalt auch am Dienstag mit der Warnung verbunden, „das Ansehen Deutschlands“ stehe auf dem Spiel. Platzeck fordert dagegen, das Problem „darf uns nicht nur stören, weil es unserer Wirtschaft schadet“. Alle Politiker müssten klarmachen, „dass wir diese Gewalt eklig finden, dass der Kampf gegen diese ganze Lebenshaltung eine Herzensangelegenheit ist“. Dazu gehöre auch Ursachenforschung und verstärkte Bildungsarbeit. „Wir müssen auch viel mehr an Lehrer herantreten und dafür sorgen, dass das Thema in den Schulen behandelt wird.“
Die Kritik von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der in einem Zeit-Interview ostdeutschen Kommunalpolitikern eine „Mischung aus Blindheit, Nicht-wahrhaben-Wollen, Beschönigung und Hilflosigkeit“ vorgeworfen hatte, will Platzeck so pauschal nicht teilen. Es sei allerdings richtig gewesen, auf das Problem „auch in dieser Deutlichkeit“ hinzuweisen. Annetta Kahane vom Berliner Zentrum Demokratische Kultur sagte: „Man muss die Dinge beim Namen nennen.“ Von der Politik forderte sie, nicht nur einzelne Heldentaten zu loben – so erfreulich diese auch seien –, sondern Zivilcourage auch dann zu fördern, wenn es um mühsame und langfristige Projekte vor Ort geht. „Und da macht die Bundesregierung viel zu wenig.“
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