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Karneval mit Sternenbanner

Auf den „Conventions“ wird nichts diskutiert und nichts entschieden. Dieses seltsame Ritual amerikanischer Wahlkämpfe muss nur eines: Spaß machen

von PETER TAUTFEST

An diesem Wochenende steigt in Philadelphia ein gewaltiger Rummel, ein Circus, eine Show der Superlative, ein Event der Extraklasse, eine Politfete als Gesamtkunstwerk – man ringt nach Worten, um zu beschreiben, was da alle vier Jahre in einer der großen Städte Amerikas stattfindet und die dritte Phase eines fast zweijährigen Präsidentschaftswahlkampfs einleitet. „Conventions“ heißen die Ereignisse im Amerikanischen, und sie wären völlig unzureichend mit dem Wort „Parteitag“ übersetzt. Am besten kommt man den Ereignissen mit der Doppeldeutung jenes Wortes bei, das im Englischen sowohl eine Partei wie eine Party bezeichnet.

Rund 2.000 Delegierte und noch mal 2.000 Ersatzdelegierte der „Grand Old Party“ (wie die Republikaner ihre Partei nennen), kommen zur Riesenparty nach Philadelphia in ein Sportstadium. 14 Tage später werden fast 6.000 Demokraten ein ähnliches Spektakel in Los Angeles abhalten. Die meisten bringen Familie, Freunde und Nachbarn mit. Sie kommen wie zu einem Karneval und verkleiden sich entsprechend – Muster der Saison ist das Sternenbanner. Es wird zu meterhohen Zylinderhüten aufgerollt, zum Dirndlkleid drapiert oder zum Anzug zurechtgeschneidert. Die Delegierten tragen kreisrunde Strohhüte oder Baseballmützen, die bei Republikanern mit Riesenschlappohren und Rüssel zum Elefantenkopf gestaltet sind, dem Wappentier ihrer Partei, bei den Demokraten trage sie Eselszüge. Wer unter all diesen Verrückten halbwegs normal aussieht, muss Journalist sein. 1.500 Medien schicken 15.000 Reporter, Kameramänner, Photographen und Kabelträger.

Die Straßen der Austragungsorte ertrinken in einer Flut aus blauweißroten Fahnen, Fähnchen, Girlanden, Ballons und Bannern. Die Städte veranstalten ihrerseits Straßenfeste und Lichtershows mit Feuerwerk. Die Bürger sollen eben auch an dem großen Spaß teilhaben, den die Delegierten in einem streng abgeschirmten Sportstadium haben werden.

„Dies wird ein Parteitag neuen Typs für einen Kandidaten neuen Typs sein“, verkündet Andy Carr, Organisator und Stellvertretender Vorsitzender des Republikanischen Parteitags, „eine Convention für die Politik des 21. Jahrhunderts“: „Wir werden das Ethos und den Elan von Lehrern und Sozialarbeitern, von helfende Nachbarn und engagierten Kirchengruppen durch Videoclips und durch den Auftritt dieser Helden des Alltags darstellen.“ Anders als bisher üblich wird der Kandidat nicht bis zum letzten Abend versteckt gehalten, sondern spricht allabendlich von unterwegs über eine Liveschaltung zu den Delegierten. Die Idee hat George Bush von Clinton geklaut, und er bewegt sich per Bus in einem Countdown durch die Lande auf den Konvent zu, auf dem er am vierten Abend zum grenzenlosen Jubel live und real eintreffen wird. Die Frage, ob auf den Parteitagen irgendetwas debattiert, beraten, abgestimmt wird, beantwortet Carr mit verdutztem Erstaunen: „Seit ich mich erinnern kann, ist auf Conventions nie diskutiert worden.“

„Auf Conventions wird nichts entschieden“, sagt auch Larry Hagstrom, der auf beiden Parteitagen eine tägliche Convention-Postille herausgibt, „sie sind wie Fernsehshows, bei denen die Delegierten Statisten sind und das eigentliche Schauspiel viel besser am Bildschirm denn in der realen Arena verfolgt werden kann.“ Die Kandidatenwahl ist in der Tat schon vor Monaten durch die Vorwahlen – der ersten Phase des Wahlkampfes – geschehen, und auch das Parteiprogramm wird den Delegierten fertig vorgelegt. Diese Plattformen spielen allerdings im amerikanischen Wahlkampf keine Rolle. Am bündigsten brachte das der damalige Präsidentschaftskandidat Bob Dole vor vier Jahren auf den Begriff, als er, auf die Plattform angesprochen, sagte: „Ich habe sie nicht gelesen.“

„Conventions sind deswegen nicht überflüssig“, versichert Hagstrom, „sie sind ein Jahrmarkt der Politik und eine Begegnungsstätte, auf der alles Mögliche erledigt wird.“ Auf Parteitagen lernen Politiker einander sowie ihre Lobbyisten und Geldgeber kennen. Manche politische Kariere beginnt oder endet hier, manche Idee wird hier geboren, mancher Slogan erprobt, manche Taktik ausprobiert und mancher Deal angebahnt. „Und so manche politische Verkaufsstrategie wird von hier nach Europa exportiert“, glaubt Hagstrom.

Conventions gehören zu den ältesten Ritualen der amerikanischen Politik. 1831 tagte erstmals in Baltimore die Antifreimaurerpartei. Durch die Anfang dieses Jahrhunderts immer populär werdende Institution der Vorwahlen verloren sie an Bedeutung. Die letzten dramatischen Parteitage mit offenem Ausgang fanden 1960 und 1964 statt, als Kennedy die Nominierung vor Johnson gewann und Rockefeller Nixon unterlag. Die Zahl der Delegierten schwoll von einer Handvoll angereister Männer, die in eine Kirche passten, zu Monsterveranstaltungen mit mehreren tausend Teilnehmern an, die nur noch in Sportarenen passen – in den 60er-Jahren vergrößerten vor allem die Demokraten ihre Kandidatenzahl, um die Beteiligung von Frauen und Minoritäten zu erhöhen. In den 50er-Jahren widmeten die Fernsehanstalten jedem der beiden Ereignisse je 50 Stunden Sendezeit. Die letzten beiden aber in San Diego und Chicago waren den Sendern ABC, CBS und NBC nur noch zweieinhalb Stunden wert. „Niemand interessiert sich für die Conventions“, lautet denn auch der Tenor, in dem die Medien über die Conventions berichten. Warum sind dann die Conventions bei den Medien so populär, dass sie alle vier Jahre in Rekordzahl anreisen? Hier machen Journalisten Connections – mit Politikern, Lobbyisten und anderen Journalisten. „Aber das ist nur die halbe Wahrheit“, meint William Powers vom National Journal, „zur gleichen Zeit nämlich, da die Fernsehanstalten ihre Sendezeit zurückstutzen, vergrößern sich die Einschaltquoten bei den Kabelanstalten. CNN sendet live und fortlaufend von den Conventions und macht dabei ein gutes Geschäft.“

Conventions sind wie Messen neuer Medientechnik und -politik. Erstmals werden die Conventions dieses Jahr per Internet übertragen. „Zur ,Radio Row‘ (aus der die für die Republikaner wichtigen konservativen Talkshow -Hosts berichten) kommt dieses Jahr die ,Internet Alley‘“, berichtet Andy Carr stolz. Dutzende von überall positionierten Webcameras werden es dem Internetsurfer erlauben, sich selber Objekt und Blickwinkel zu wählen. Auch der Demokratische Parteitag wirbt nicht nur mit Al Gore, sondern auch damit, dass die Avantgarde der Webcasting Technologie in Los Angeles für ein virtuelles „Total Immersion“ Rundumerlebnis sorgt.

Conventions sind auch ein Hochzeitstanz von Politik mit dem großen Geld. 13 Millionen Dollar bekommen die Parteien aus der Staatskasse. 40 Millionen aber steuert das Gastgeberkomitee der Stadt Philadelphia bei (36 Millionen Dollar sind es bisher in LA), und die Städte bringen auch öffentliche Mittel ein, die als Tourismus- und Industrieanwerbung verbucht werden. Das große Geld kommt von Einzelspendern und Konzernen, von Lobbyisten und Interessengruppen, die damit praktisch den Parteitag ausrichten. Firmen und Geschäftsleute richten Partys für die Delegationen und die Fraktionen der Partei aus – und lernen dabei natürlich all die Politiker näher kennen, die in Washington ihre Interessen befördern oder behindern könnten. Die vorgeschriebene Rechenschaftslegung über solche Wahlkampfspenden erfolgt erst 60 Tage nach dem Parteitag. Da ist der Wahlkampf gerade dabei in seine vierte und heiße Phase einzutreten, die am ersten Dienstag im November mit der Wahl endet.

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