: Tauscht, tauscht, tauscht und hört!
Noch einen Tag Zeit zum Nutzen von Napster, dem Anbieter der abseitigsten, schönsten und vergessensten Musikstücke der Geschichte. Ein Erfahrungs-Bericht aus der Napster-Gemeinde, die nun heimatlos wird
BERLIN taz ■ Noch läuft’s, noch ist von „Der Internationalen“ in Monoaufnahme bis zu den jüngsten Metallica-Scheiben alles da. Auf dem für Mitteleuropa ausgerichteten Napster-Server tummelten sich gestern Mittag an die 4.100 Freaks, die ihrerseits über 507.000 Musikstücke zum Tausch anboten. An „Don’t bogart that joint“ von Little Feet saugte mein Rechner 13 Minuten – aber es ging durch. So war von Hektik unter den europäischen Musikliebhabern über den Horror-Entscheid aus dem fernen San Francisco nichts zu spüren.
Doch was steckt hinter dem Vorwurf der Plattenindustrie, die Napster-Suchmaschine sei reine „Musikpiraterie“? Jeder der sich einmal bei Napster eingeschlichen hat – die Registrierung läuft unter www.napster.com – lacht nur über die Argumente der Phonoindustrie, durch die Tauschbörse seien Millionenverluste zu beklagen. Denn alles was die Napster-Gemeinde tauscht, wurde entweder selbst produziert oder von einer gekauften Schallplatte oder CD so umgeschnitten, dass es als MP3-Format in die Napster-Software passte – unabhängig davon, wie alt oder schräg das Tondokument war. Das soll die Musikindustrie erst einmal nachmachen! Welche Plattenfirma legt denn schon den „Cocksucker Blues“ der Stones auf, oder Allen Ginsbergs „Howl“?
Durch Napster sind vergessene Scheiben wieder in. Ton Steine Scherben werden von meinem Rechner pausenlos gezogen. Ex-DDR-Rock, die ausgefallensten Stücke, werden plötzlich wieder zugänglich für all jene, die einst leer ausgingen im Mangelland Ost, wo es gute LPs nur über Beziehungen gab. Napster zählt noch immer zu den angenehmsten Seiten im Internet, einfach deshalb, weil sich dort unglaublich viele Freaks tummeln, die alle ihrerseits ihre Lieblingsmusik für andere bereitstellen und je nach Laune über Gott und die Welt plaudern. Doch beim Plaudern gab es in den vergangenen Wochen Probleme: Einige Plattenfirmen hatten sich Pseudo-Hacker an Land gezogen, die in der Software von Napster rumfummeln sollten, um eine „gewisse Kontrolle“ über die freie Musikgemeinde zu gewinnen. Und Bertelsmann bot den Napstern an, ihre Software und Kundenkartei aufzukaufen, sollten sie im Gegenzug manche Musikstücke ausblenden. Das Resultat: Napster warnte seine Mitglieder, sich nie unter Klarnamen anzumelden und Tausch-Bekanntschaften abseits vom Napster-Programm anzulegen.
Mein Tip: Loggt euch massenhaft ein, saugt ab, was noch da ist und fragt beim Chatten die, die den gleichen Musikgeschmack haben wie ihr, wo es ab Samstag mit dem freien Musikhören weitergeht. Viele Hacker-Software-Pakete warten schon auf ihr Start-up – vorerst noch tief versteckt im Internet-Dschungel. M. STERNENKLAR
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