: Emirsirup für eine Mark
■ Ein Tag auf der Expo: tanzende Müllmänner, Schlangenmanagement und Gratis-Tüten aus Andorra. Von Burkhard Straßmann und Laura Marina (Fotos)
Und? Geschäfte gehen schlecht? Die Frau, die uns eben noch mit gewinnendem Lächeln und durchaus hartnäckig ein Sonnenhütchen für 28 Mark verkaufen wollte („Ist billiger als bei mir zu Hause in Hildesheim!“), zuckt zusammen und wird ernst. „Wieso sollen die Geschäfte schlecht gehen?! Das ist alles nur Gerede, was die Zeitungen schreiben, alles schlecht für die Expo. Mein Gott, da hat man einmal im Leben eine Weltausstellung in Deutschland, und dann nur Gemeckere!“
Eigentlich ist ja Samstag. Eigentlich ist wunderbares Wetter. Die Expo lockt Unentschlossene mit Sonderangeboten. Der Verkehrsfunk schweigt. Die Bahn wird nicht bestreikt. Eigentlich sind das prima Voraussetzungen für einen Besucherrekord bei der Expo. Und dann das: leere Expozüge, nur mäßiges Interesse an den Ticketschaltern, das Expogelände in etwa so belebt wie Hannovers Fußgängerzone an einem Sonntagmorgen.
Und irgendwann steht man in diesem Expo-Souvenir-Shop beim Ungarn-Pavillon, dreht unentschlossen einen Topflappen mit Expo-Logo in der Hand (18 Mark), und man müsste schon ein Herz aus Stein haben, wenn einem diese Verkäuferinnen und Verkäufer nicht furchtbar leid täten. Denn niemand betritt ihre Läden, schlicht und einfach: niemand! Jetzt um 11 Uhr nicht und später um 15 Uhr nicht, und auch gegen Abend ändert sich an dem Elend nicht viel. „Darf's vielleicht ein Expo-T-Shirt sein, beste Qualität?“ Und wenn es nur der armen tapfer lächelnden Verkäuferin zuliebe wäre? Doch plötzlich ahnt man, was das Problem dieser Expo sein könnte: Man würde sich nämlich mit einem Kleidungsstück, auf dem „Expo 2000“ steht, in der Öffentlichkeit nicht einmal zeigen, wenn man es geschenkt bekäme. Expo ist nicht schick. Auch nicht geil. Nicht aufregend. Schon gar nicht cool oder sexy. Sondern bloß: peinlich.
Zum Looser-Image der Expo tragen viele bei. Morgens um 7.20 Uhr, Bremen Hauptbahnhof. Beim Fahrkartenkauf hatten wir mit Wartezeit gerechnet, der Expo wegen. Pustekuchen. Ein paar Fahrgäste verlieren sich im „Reisezentrum“.
Ein komischer Zwiespalt: Einerseits sind wir erleichtert, dass wir nicht warten müssen. Andererseits fragen wir uns natürlich, ob wir auf der falschen Party sind. Die freundliche Dame vom Ticketservice klärt uns nun auf, dass aufgrund der Expo im Gegensatz zur Information der Bahn im Internet das Schöne Wochenendticket im Raum Hannover nicht gilt und dass wir – obwohl Expobesucher – keine Expoverbilligung kriegen, weil wir kein Expoticket im Vorverkauf erworben haben. Doppelte Strafe für spontane Expo-Besucher: Der Eintritt kostet an der Tageskasse statt 69 Mark 79 Mark, der Wochenendzuschlag beträgt sogar 20 Mark. Ein Gefühl stellt sich ein, das uns den ganzen Expotag lang nicht mehr loslassen wird: dass man ausgenommen wird. Dass man es eigentlich nicht auf uns persönlich abgesehen hat, sondern auf unseren Geldbeutel.
Zwei Gleise weiter steht ein spezieller Expo-Zug, der aber nur betreten werden darf, wenn vorher ein Platz gebucht wurde. Der Zug ist gähnend leer. Eine kurze Diskussion mit dem Zugchef: Er würde uns ausnahmsweise mitfahren lassen, aber nur mit Zuschlag. Sieben Mark mal vier wären 28 Mark drauf. Nein danke. Kurz vor der Abfahrt des regulären Bummelzuges nach Hannover-Laatzen droht eine Stimme über Lautsprecher: „Reisende, die mit dem Schönen Wochenendticket angetroffen werden, zahlen den vollen Fahrpreis nach oder müssen aussteigen.“
Am Einlass kein Gedränge. Überall Schilder mit nach unten korrigierten Bierpreisen. Wir schauen uns um und fühlen uns etwas allein. Wie sollen wir uns nun orientieren? Wir sind ohne Plan, weil der extra kostet, und ohne Plan sucht man sich eine Schlange und stellt sich an, weil Schlangen nicht irren können.
Nach einem sportlichen Fußmarsch haben wir gottlob einen der erklärten Expo-Renner im Visier, den mehrstöckigen Pavillon der Holländer. Dass dies ein Renner ist, liest man in allen Zeitungen und sieht man an der Schlange. Wartezeit: mindestens eine halbe Stunde. Ist man aber oben, steht man neben einer Pfütze mit Windrädern und hat eine schöne Aussicht.
Eine Etage tiefer soll man in ein Kino gehen, darunter Wände mit schlauen Sprüchen anschauen, darunter ist ein Wald nachgebaut. Dann gibt es noch eine Etage mit holländischen Topfpflanzen. Soso, der Renner... Schlangen können doch irren. Das Eigentümliche an allen Großausstellungen und Messen ist, dass schon nach zwanzig Minuten die Füße schmerzen. Eins der wenigen Gratisangebote auf der Expo ist das Busfahren. Busfahren ist gut für die Füße. Busfahren hat nicht unbedingt den Sinn, dass man ein konkretes Ziel erreicht – dafür sind die Routen und Umsteigemöglichkeiten zu schwer verständlich. Wer gezielt Orte ansteuern will, mietet sich ein Elektroauto (320 Mark am Tag der Viersitzer). Doch die Busse fahren meist hinter den Expohallen entlang, wo man doch einiges über die Expo lernt. Hier entspannen sich nämlich den ganzen Tag lang gruppenweise die unterbeschäftigten Servicekräfte aus Restauration, Shops und Toilettentrakten, lagern in malerischen Gruppen und konsumieren Cola und Zigaretten. Im Bus kann man nebenbei lernen, dass Expobesucher sehr gutwillige und mitleidige Menschen sind. „Sie haben sich so viel Mühe gegeben“, redet uns eine Dame aus dem Westfälischen ins Gewissen, „und bei uns in Münster kostet das Weizen auch schon sechs Mark. Würstchen? Wer isst denn hier schon Würstchen? Wir haben Butterbrote mit.“
Die „Zunkunft der Ernährung“ ist eines der ganz großen Themen der Expo. Die Gegenwart auch. Auf dem Weg zum Pavillon von Bhutan drückt uns ein Mädchen einen kleinen Zettel in die Hand: „Top Familien Angebot: All you can eat and drink! Familie mit 2 Kindern unter 15 Jahren zahlen DM 95.-, und dafür gibt's leckeres Essen vom Buffet, alkoholfreie Getränke & Kaffee & Tee, und das alles sooft und soviel Sie wollen! Im All Inclusive Restaurant Galleria in Halle 2.“ Die 95.- ist mit Bleistift durchgestrichen und durch 70.- ersetzt worden.
Das ist die Preisoffensive der Expogastronomie. Andere bieten einen Kinderteller Spaghetti mit roter Sauce für 4,50 Mark an. Na bitte, geht doch! Auch die Bierpreise gehen in den Keller. Einen halben Liter Fassbier gibt es gelegentlich schon für unter sieben Mark!
Die Preissenkungen scheinen jedoch keinerlei Wirkung auf die Konsumenten zu haben. Um die Mittagszeit sind viele Restaurants noch leer, lediglich einige Tische draußen sind besetzt. Der Wirt eines portugiesischen Restaurant hat seine Preise überklebt und verkauft sein Essen tatsächlich auf Verhandlungsbasis!
Bhutan übrigens bietet keine ländertypischen Häppchen für viel Geld, sondern ländertypische Webwaren für viel Geld. Im Raum für Tourismusförderung kann man allerdings ein Poster für fünf Mark erstehen; billiger sind nur noch die Inder, die Bambusflöten für zwei Mark anbieten. Und die Vereinigten arabischen Emirate, wo man für eine Mark (!) einen Löffel vom frisch gekochten Emirsirup naschen darf.
Gratis ist auch, heimlich den TUI-Guides zuzuhören. Die führen hier meist sehr übersichtliche Mini-Grüppchen an, in denen die Leute Tiefgründiges über die Zukunft des Planeten Erde mitbekommen wie dies: „Das ist eben das Gute: Wo es Untergang gibt, gibt es Neubeginn.“ Und Hintergrundwissen zu den Länderpavillons.
Doch eigentlich ist es unerklärlich, warum die Leute überhaupt in die Länderpavillons gehen. Man sieht dort Handys von Nokia und Kinderbilder (Finnland), Weinflaschen hinter Glas (Rumänien), Filme, die beweisen, dass die technologische Entwicklung des jeweiligen Landes der Welt oder der Natur dient (Indien), Prospekte der jeweiligen Tourismusförderer plus Arbeiter-Boots (Australien) und multimediales Beeindruckungsgedöns (alle). Normalerweise würde man solche Räumlichkeiten nur betreten, wenn einem die Teilnahme an einem Preisausschreiben sowie kleine Geschenke und Gratishäppchen versprochen würden. Oder Modellautos und Anstecknadeln (Internationale Automobilausstellung IAA, Eintrittspreis 35 Mark).
Auf der Expo aber gibt es nichts geschenkt. Rühmliche Ausnahme: Andorra. Andorra verschenkt Papier-Tragetüten, auf denen – prima Idee! – „Andorra“ steht. Expobesucher verlassen die Expo mit leeren Händen, wenn sie nicht bei Andorra vorbeigeschaut haben.
Nun, der Kopf wird dagegen gewiss nicht leer bleiben. Dafür sorgen schon Themenausstellungen wie „Zukunft der Arbeit“, die so unpopulär ist, dass Expobedienstete vor der Tür die Leute hineinnötigen („Da wird gerade getanzt“). Und zwar tanzen Müllmänner und Müllfrauen unter dem Logo der Bundesanstalt für Arbeit. Hier verkrümeln wir uns schnell, weil tanzende Müllmänner und Arbeit allgemein vielleicht wichtig, aber nicht wirklich cool und sexy sind.
Erheblich spektakulärer soll dagegen der „Planet of Visions“ sein, stand in der Zeitung. Eine gewaltig große Vorhalle dient hier allein dazu, die wartenden Besuchermassen mit Absperrbändern in mäandernden Reihen zu ordnen. Von zwei Stunden Wartezeit hatten wir gelesen, von neuen Formen des „Schlangenmanagements“, von Künstlern, die uns das Warten versüßen, und Hostessen, die uns bei Laune halten. Und? Die Wartehalle ist leer. Gelegentlich kommt es vor, dass draußen vor der Tür künstlich Schlangen angestaut werden, um wenigstens ein paar Passanten anzulocken. Drinnen wird man mit lautem Gerumpel, zahllosen Monitoren und vielem Kleingedruckten belohnt, was man aber alles gleich wieder vergißt. Eine reale Erfahrung bleibt: ein grob gespachtelter Zementboden, der die müden Füße erfreut. Und ein schwankender Teppichboden, der einen wie trunken torkeln lässt. Da müssen alle lachen.
Frohsinn und Leichtigkeit entstehen, wo niemand uns was beibiegen will. Und wo der Spaß umsonst ist (natürlich dreht das teure Riesenrad im Leer-Lauf). Wo es gratis Trinkwasser gibt (im rumänischen und am indischen Pavillon), entsteht Leben. In Halle 5 („Zukunft der Gesundheit“) stehen Liegesessel, die den Erschöpften sanft schaukeln, bei Bedarf stundenlang.
Und überall wo Wasser spritzt, ist Kinderspaß. Apropos Kinder: Grundsätzlich ist die Expo für Kinder ungeeignet.
Kinder wollen in aller Regel nicht stundenlang rumlatschen und schauen und horchen und bedeutsam mit dem Kopf nicken, sondern was tun. Kinder drücken hier ständig und vergeblich auf Bildschirme, weil sie denken, diese arbeiteten interaktiv. Vielleicht sind sie aber – eine der großen Expo-Ausnahmen – bezaubert von den eiförmigen Robotern in Halle 4, die man wie eine Herde durch den Raum treiben kann.
Am Stand von Marokko kann man sich – ein Hit! – Zimtrinde klauen. Bertelsmann hat in seinem rundlichen „Planet m“ („m“ wie Medien) immerhin ein Kino mit gemütlichen Sitzen und einen Internet-Kinder-Film.
Doch zuletzt finden wohl alle Eltern den Weg in die „Funsporthalle“, wo Fußball gespielt, geinlinert und gemountainbiket werden kann. Umsonst und drinnen und stundenlang. Da erfahren die Blagen zwar nichts über die Zukunft unseres Planeten und die technologische Entwicklung der Mongolei, aber sie sind zufrieden. Auch was wert. Denn Zufriedenheit ist ein eher rares Expo-Mitbringsel.
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