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Regentanz nur ohne Handy

Bei der „reclaim the streets“-Demoparty gegen die Erhöhung der BVG-Tarife suchte die Polizei Teilnehmer nach Mobiltelefonen ab. Sie wollte Absprachen unter den Teilnehmern verhindern

von FELIX WÜRTENBERGER

Moderne Kommunikationstechnologie hat auf Demonstrationen nichts zu suchen. So jedenfalls sieht das offenbar die Polizei und durchsuchte am Samstag die Besucher der „Reclaim the streets“-Demo am Spittelmarkt nach Handys. Besitzer hatten die Wahl, das Telefon abzugeben oder den Platz zu verlassen.

Ein Polizeibeamter erklärte, „wir haben Hinweise erhalten, dass sich die Demonstranten über SMS-Nachrichten verständigen.“ Was nach dem Ergebnis verdeckter Ermittlungen im Untergrund klingt, kann jeder auf der „Reclaim the streets“-Seite im Internet nachlesen.

Rechtsanwältin Gesa Schulz findet das Vorgehen der Polizei „ungewöhnlich“. Ihr Kollege Ulrich Klinggräff bezeichnet es gar als „große Sauerei“. Die Beschlagnahmung von Handys entbehre jeder Rechtsgrundlage. Die Beamten müssten schon bei jedem einzelnen Handybesitzer konkrete Hinweise haben, dass dieser mit dem Gerät Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten plane, um eine Beschlagnahmung zu rechtfertigen.

Etwa 500 Jugendliche hatten an der Demoparty gegen höhere BVG-Preise teilgenommen. Was die Aktionen der Initiative „reclaim the streets“ so unberechenbar macht: Außer Treffpunkt und Uhrzeit weiß niemand etwas, alles soll spontan entstehen. Um 14 Uhr sah noch alles nach harmlosem Zeitvertreib aus: Auf der Wiese am Spittelmarkt flogen Bälle und Frisbee-Scheiben durch die Luft – kritisch beäugt von einem Großaufgebot der Polizei. „Hoffentlich passiert hier noch was“, meinte ein Demonstrant sichtlich gelangweilt von den drögen Rasenspielen.

Gegen 15 Uhr stellte sich dann ein Lkw auf der Leipziger Straße quer. Bis die Polizei zur Stelle war, drangen schon die ersten Techno-Beats von der Ladefläche. Sofort stürmte alles auf die Straße. Nach kurzer Rangelei sperrte die Polizei die Fahrbahn und ließ die Jugend tanzen.

Die Party hatte begonnen, der Regenguss des Jahres allerdings auch. In den folgenden zwei Stunden bot sich ein grotesker Anblick: Unbeeindruckt von sintflutartigem Regen bewegten sich durchgeweichte Tänzer zu hämmernden Rhythmen, belagert von Dutzenden Einsatzwagen und mehreren Hundertschaften Polizei. Während die Beamten in ihren regentriefenden Uniformen nicht zu beneiden waren, sprangen in ihrer Mitte jubelnde Demonstranten von Pfütze zu Pfütze. Gegen 17 Uhr hatten dann doch die meisten genug vom Regentanz und überließen der Polizei widerstandslos das Feld.

Die Initiative „reclaim the streets“, die für eine „Wiederaneignung des öffentlichen Raums“ kämpft, meldet ihre Aktionen prinzipiell nicht an. Bei vergangenen Demonstrationen erschwerten die „reclaimer“ der Polizei zusätzlich die Arbeit, indem sie gleich zu Anfang mit der U-Bahn den Ort wechselten. Diesmal hatte die Polizei vorgesorgt: Die Züge der Linie U 2 hielten am Samstagnachmittag nicht am Spittelmarkt. Ihr Bekenntnis zum Schwarzfahren konnten die Demonstranten daher nicht in die Tat umsetzen, es blieb bei den provokativen Stickern am T-Shirt.

Trotzdem gingen die Demonstranten zufrieden nach Hause. „War doch eine Super-Party“, sagte eine erschöpfte Tänzerin nach der Veranstaltung. „Zwei Stunden getanzt und die Straße blockiert und es hat keinen Ärger gegeben!“ Fast keinen. Die Polizei erstattete Anzeige wegen Verstoß gegen das Versammlungsrecht und nahm drei Personen vorübergehend fest. Die anderen aber hatten ihren Spaß auf der bestbewachten Love Parade des Jahres – mit oder ohne Handy.

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