: Wer anders denkt, wird erschossen
Die baskischen Separatisten bringen erneut einen Politiker um. Das spanische Innenministerium gibt zu, dass die ETA während ihrer Feuerpause überall im Land neue Kommandos aufgebaut hat. Jetzt haben viele Menschen im Baskenland Angst
aus Madrid REINER WANDLER
Juan María Jauregui Apalategui (49) war ein einfaches Ziel. Der ehemalige sozialistische Politiker war seit Mitte des Monats in seiner baskischen Heimat in Urlaub. Fast täglich trank er seinen Kaffee in der gleichen Bar in der Kleinstadt Tolosa. Obwohl der ehemalige Vertreter der Madrider Zentralregierung im Baskenland (1994–1996) aus Sicherheitsgründen in Chile lebte, bewegte er sich im Urlaub ohne Leibwächter. Die zwei Wochen reichten den legal lebenden ETA-Informanten, um den Mann auszumachen, der seit fünf Jahren auf den Todeslisten der Separatisten steht, und seine Gewohnheiten zu studieren.
Am Samstag früh reisten dann vermutlich illegale Pistoleros an, betraten Jaureguis Lieblingsbar, bestellten, tranken ruhig aus und näherten sich dem Tisch, an dem sich Jauregui mit einem Freund unterhielt. Mit mehreren Genickschüssen streckten die Etarras Jauregui nieder. Während das Opfer in einer Blutlache vergeblich ums Überleben rang, verließen die beiden Attentäter eilig das Lokal. Ihren Fluchtwagen sprengten sie wenige Kilometer weiter.
„Was will ETA? Alle umbringen, die nicht denken wie sie?“, fragte sich der baskische Regierungschef Juan José Ibarretxe bestürzt, kurz bevor er dem im Lokal der Sozialistischen Partei in San Sebastián aufgebahrten Toten seine letzte Ehre erwies. Zum Gruß erhobene Fäuste, Tränen, Verzweiflung – keiner derer, die am Sarg vorbei defilierten, konnte verstehen, warum es gerade Juan María Jauregui treffen musste. Er war im Baskenland trotz seines einstigen Amtes als Zivilgouverneur beliebt.
Als erster Vertreter Madrids hielt er seine Antrittsrede auf Baskisch. Jauregui trat für den Dialog mit den Nationalisten ein und trug dazu bei, die Verantwortlichen des schmutzigen Krieges gegen die ETA hinter Gitter zu bringen. Als junger, kommunistischer Student machte er wegen seiner Solidarität mit der 1969 in einem großen Schauprozess in Burgos abgeurteilten ersten ETA-Führung Bekanntschaft mit den Gefängnissen der Franco-Diktatur.
Juan María Jauregui ist das siebte ETA-Opfer seit der Aufkündigung eines einseitigen 16-monatigen Waffenstillstands vergangenen Dezember. In den letzten beiden Monaten haben die Separatisten ihre Aktivitäten verstärkt. Neun Bomben und drei Erschossenen sind die Bilanz der größten Offensive seit Beginn der 80er-Jahre. Laut Innenminister Jaime Mayor Oreja ist es ETA gelungen, während der Feuerpause überall im Land neue Kommandos mit jungen Leuten aufzubauen.
„ETA versucht den gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere zutiefst demokratischen Überzeugungen auf die Probe zu stellen“, ist sich der ebenfalls im Baskenland geborene Mayor Oreja sicher. Die Meldung von Jaureguis Tod erreichte den Innenminister mitten auf einer Pressekonferenz, in der er stolz die letzten Erfolge im Kampf gegen die ETA bekannt gab.
„Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen“, mahnte Mayor Oreja. Ein Aufruf, der im Baskenland für viele zu spät kommt. 70 Prozent der Bevölkerung schließen für sich aus Angst eine aktive Teilnahme an der Politik aus. Nur 31 Prozent trauen sich, offen über Politik zu reden, und 15 Prozent würden am liebsten aus dem Baskenland wegziehen. Dies ergab vergangene Woche eine im Auftrag der baskischen Autonomieregierung erstellte Umfrage.
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