: Vision vom fairen Zusammenleben
Der Künstler sagt's durch symbolträchtig-reizende Rosen: Günther Westphal will durch Blumen-Porträts und Reiseeindrücke Veränderungsenergie in den illusionsfreien Alltag hinüberretten ■ Von Hajo Schiff
Mit intensiven Rosenfotos wirbt der Hamburger Günther Westphal für sein Projekt Kunst Wohn Pflege Hausgemeinschaft. Der Künstler brauchte für seine Blumenstudien ein Jahr, eine ungewohnt zeitaufwendige Suche nach dem Wesen der Dinge. Für die Qualität seiner Fotografien erhielt Günther Westphal 1996 das Hamburg-Stipendium. Die Sensibilität, die er als Fotograf an die Objekte heranträgt, will er auch in der Welt des Sozialen realisiert sehen. So bilden die Rosen nur einen kleinen Teil einer Installation der Projektgruppe, die eine humanistische Vision vom richtigen Zusammenleben entwickeln will. Denn sollte es nicht möglich sein, die besonderen Raumanforderungen von Behinderten und Künstlern, Pflegebedürftigen und normalen Menschen mit Phantasie in einer neuen, ungewöhnlichen Bauform zu vereinen?
Für den sozial-kreativen Findungsprozess dieser Kunst Wohn Pflege Hausgemeinschaft setzt der stets vorsichtig und mit moralischer Verantwortung agierende Künstler sich so sehr ein, dass er mit eigenen Arbeiten im traditionellen Sinne kaum sichtbar wird. „Was wirklich übrigbleibt zu tun, ist verankert in der subjektiven Beziehung zu meinem unmittelbaren Nächsten, eine Beziehung, die so alt ist, wie es die Menschen auf Erden gibt, mein eigenes selbstverantwortliches Tun konkret vor Ort, hier und jetzt, und darüberhinaus gibt es nur den blauen Himmel und sonst gar nichts“ begründet Günther Westphal sein Engagement. Dabei kommt ihm die Rose als Symbol für Liebe oder Sozialismus durchaus entgegen, aber nicht als Zeichen für etwas schon Fertiges, sondern als Begleiterin zu etwas anderem, das noch zu bauen ist.
Wenn ein Gruppenmitglied Fotos aus der Wüste mit ihrem unwirklich blauen Himmel zeigt, so wird das zu einem Reiseeindruck, aus dem etwas Veränderungsenergie in den Alltag herüber zu retten ist. Denn der ist ja beschränkt genug, vor allem in den Problemen des Alters und der Pflege mit ihren rigiden Standardsetzungen. Da kennt sich Günther Westphal als einstiger Mitarbeiter der Grauen Panther aus. Für solche Beschränkungen steht in der Ausstellung der zentrale Gazekreis: Die Ausgrenzung im Raum ist eine Annäherung an die aktennotorischen knapp 50 Quadratmeter Richtgröße im sozialen Wohnungsbau.
Denn die Gruppe kämpft auch gegen die Phantasielosigkeit und Nutzermissachtung der meisten Architekten und die unüberschaubare Menge an einengenden Vorschriften. Es ist ja in diesem Land selbst bei einer aufs Zukunftsexperiment gerichteten Weltausstellung nicht möglich, die Grenzen der deutschen Baubestimmungen zu überschreiten: Das Konzept des japanischen Pavillons auf der EXPO 2000, das einen reinen Papier- und Pappbau vorsah, wurde durch aufgezwungene Stahlseile, Holzträger und Plastikfolien verwässert. Wenn selbst das Kaiserreich Japan sich nicht gegen einen hannöverschen Baubeamten durchsetzen kann, ist klar, wie schwer es ist, im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus etwa überbreite Türen zu erhalten, selbst wenn Rollstuhlfahrer als Nutzer schon feststehen.
Es scheint Günther Westphal, der Bereich Kunst sei bestens geeignet, gegen solch engstirnige Normalität weiter an Utopien zu arbeiten. Eine der mit Bedacht gestalteten Einladungskarten zu den Gruppentreffen ist eine fast leere, weiße Fläche, sie enthält nur am Rande die farbigen Passermarken des Druckers: Ein gelungenes Leerzeichen für eine erst noch entstehende Idee. Noch weniger wäre bloße Leere, die Vorgabe der Farbproben aber bestimmt den Möglichkeitsraum. Und in dem wirkt Günther Westphal als künstlerischer Agent.
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