village voice: Ungepanschte Elektronik auf dem höchsten der Mille Plateaux: Tok Tok, alva noto und Rope fiepen für die Galerie
Surreale Maschinenträumereien
Für den Galeristen Judy Lybke ist Carsten Nicolai eindeutig bildender Künstler. Deshalb kann man im E-Mail-Verteiler der Galerie Eigen + Art zwar alles über Nicolais Ausstellungen erfahren, sein Output an CDs bleibt aber ausgespart. Das ist für einen Musiker, dessen Kunst aus Turntable-Objekten und Amplituden-Videos besteht, eine seltsam strikte Trennung. Schließlich sind einige von Nicolais Noto-Platten bei einer japanischen Galerie veröffentlicht worden. Offenbar möchte man es sich im Berliner Kunstkontext, der ohnehin reichlich Richtung Clubkultur aufgeweicht ist, nicht mit den Sammlern verscherzen, für die Musik aus der Anlage kommt und Bilder an die Wand gehören.
Dabei kann man auch die „prototypes“-CD, die Nicolai unter dem Namen alva noto aufgenommen hat, wie ein Gemälde betrachten. Fein säuberlich wurde das Cover in drei Rechtecke aufgeteilt, die von Gelb ins Orange gleiten. Zu diesem Deko-Minimalismus passt der Sound: Die Klangwelt ist praktisch melodiefrei, das reine Programm aus Sinuswellen und Klickgeräuschen, die erst in der Wiederholung ein bisschen Rhythmus erzeugen. Ungepanschte Elektronik auf dem höchsten der Mille Plateaux, für deren Label Nicolai produziert. Genauso klar wird auch zwischen monoton und monochrom unterschieden, weil Akustik bekanntlich ganz anders funktioniert als ihr visuelles Pendant. Nicolai zieht die Spannung daraus, das bei aller Liebe zum Stillstand im nächsten Moment etwas Unvorhergesehenes passieren kann – ein Kratzer, ein Knirschen, ein Beat allein auf weiter Flur. Als Ergebnis könnte man sich „prototypes“ wie einen Musik gewordenen Bildschirmschoner vorstellen, der rockt, sobald man mit der Maus wackelt.
Nachdem „Atari Teenage Riot“-Videos als „Global Ghetto“-Kunst im Kunstamt Kreuzberg laufen, scheinen auch Alec Empires Label-Kollegen von Rope für die Galerie wummern, dröhnen und fiepen zu wollen. „It's no fun to compute“ ist zum Teil auf Off-Kunst-Partys live im Postfuhramt entstanden, die Dubs kamen später im Studio. Das Bauprinzip hinter den elf Stücken geht auf Improvisationen im Zeichen des Jazz zurück: Hier ein Gitarren-Loop, dort einige Drum-Patterns und mittendrin summt Jayrope merkwürdige Textzeilen über ein Hundeleben in New Mexico. Oder er meditiert über die freudige Erkenntnis, dass es wie ein Videospiel ist, wenn man Steine ins Wasser wirft.
Unter lauter Samplingschichten bleibt das Elektro-Songwritertum von Rope schwer zerknirscht und in sich gekehrt. Man spürt, wie da jemand grübelt, weil seine ansonsten hübsch country- und pop-kompatibel gestrickten Songs stets von der Allgegenwart des Computers dominiert werden – um letzlich die ganze Chose doch wieder durch diverse Effektgeräte zu jagen. Irgendwie ist die Kluft von Techno bis Van Dyke Parks nicht leicht zu überbrücken. So basteln Rope an antidigitaler Musik, die sich als darker Industrial-Lärm gegen den inneren Hightech-Nerd richtet. Japaner und Cabaret-Voltaire-Fans werden die surrealen Maschinenträumereien trotzdem mögen.
Nur Tok Tok gehen ohne Probleme als Everybody's Darling durch. Weil ihre Tanzmusik von unten kommt, dürfen sie bei Jungle World zur 3-Jahres-Fete spielen; und weil ihre Uptempo-Bretter und Acid-Bässe immer noch für Spirit of Underground einstehen, schaffen sie selbst den Spagat zwischen Tresor- und Bravo-TV-Dancefloor ziemlich mühelos. Ein ähnliches Konsensmodell bildeten zuletzt nur Whirlpool Production mit ihrer Mischung aus bekifftem Can-Gefrickel und divenhaften House-Sounds. Tok Tok drehen die Schraube noch einmal weiter: Während die Whirlpool-Jungs Hand an alte Roxy-Music-Hits legten, werden hier so schlimme Mainstream-Monster wie Totos „Hold The Line“ verwurstet.
Offenbar gibt es keine Verbote und keinen Terror der Distinktion, solange die Community ihren Spaß an der Sache hat. Bei Tok Tok gehen Unschuld und kalkulierter Trash rasant ineinander über: Eben noch bolzt ein Breakbeat spröde durchs Unterholz, dann werden fiese Discofanfaren aus den frühen Achtzigerjahren ausgepackt, um die Tanzfläche ballermannartig vollzuseifen. Vielleicht liegt in diesem überschwänglichen Willen zum Fun ein Rest an widerständigem Sponti-Bewusstsein, das bei der Love Parade verloren gegangen ist. Tok Tok bleiben dagegen noch auf dem Weg ins verminte Terrain der RTL-Rave-Nächte so undiszipliniert wie Zlatko, John und all die anderen Lebewesen links der Mitte. HARALD FRICKE
alva noto: „prototypes“ (Mille Plateaux) Rope: „It's no fun to compute“ (Geist Records) Tok Tok: „Album“ (bpitch control; Neuton). Tok Tok spielen am Freitag zur „3 Jahre Jungle World“-Party im Glashaus der Arena, Treptower Park
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