Filmische Ausgrabungen

■ Auch eine musikalische Geschichte: Ab Freitag spürt die Reihe Cinepolis zwei Monate lang Architektur und Stadt im Echo des Films auf

Bis zum 24. September lässt sich im Lichtmesz und im Metropolis, aber auch an ausgewählten anderen Orten, die Geschichte der Symbiose zwischen Film und Stadt anhand cineastischer Perlen verfolgen. Auf die Beine gestellt haben das Programm der Mediendesigner Mehmet Alatur, der Architekturkritiker Olaf Bartels, der Medienwissenschaftler Mathias Güntner, der Kulturwissenschaftler Lasse Ole Hempel und der Filmwissenschaftler Thomas Tode. Die Mitglieder der Gruppe werden jeweils einführende Vorträge zu den Programmteilen halten. Ein Gespräch mit der Gruppe Cinepolis und den kinoki-DJs, die am Eröffnungsabend zu Dziga Vertovs Der Mann mit der Kamera an den Plattentellern stehen.

taz hamburg: Wie ist es denn zu dem Programm gekommen?

Mehmet Alatur: In Graz findet ja alle zwei Jahre das Festival „film+arc.“ statt, das inzwischen „medien und architektur bienale“ heißt. Aus dem Programm haben wir vor sechs Jahren Filme für eine Reihe zum Thema im Lichtmesz bezogen. Unterstützt wurde das durch Architekten und eine Förderungssumme der Kulturbehörde. Zwei Jahre später haben wir das Metropolis als Kooperationspartner und die Architektenkammer als Sponsor für eine weitere Reihe zu Architektur gewinnen können, für die wir die Filme immer mehr eigenhändig ausgesucht haben. Aus dem Umfeld von Metropolis und Lichtmesz ist letztes Jahr diese Gruppe entstanden.

Wenn man sich das Programm ansieht, hat man – abgesehen vielleicht vom letzten Drittel – nicht den Eindruck, dass es in erster Linie um Architektur geht. Die Programme heißen etwa „Poesie des Ortes“ oder „Die Mitte und der Rand“, wo anscheinend eher städtische Mythen, Stadtentwicklung und das Soziale im Vordergrund stehen.

Olaf Bartels: Wir haben Filme versammelt, die sich nicht nur mit Architektur, sondern auch mit Stadt auseinander setzen. Uns hat das Zusammenspiel von Dynamik – dafür stehen ja Stadt und Film – und Statik – dafür steht Architektur – gereizt. Daher auch der Name „Cinepolis“: „die bewegte Stadt“.

Und was waren eure Kriterien bei der Auswahl der Filme?

Thomas Tode: Nun, da gibt es eine historische Linie. Wir fangen mit den City-Symphonien an, einem Genre, das in den 20er-/30er-Jahren entstanden ist. Da wird plötzlich die Stadt zur Hauptdarstellerin, die vorher nur Szenerie, Hintergrund war. Die Affinität zwischen dem Medium Film und der Schnelligkeit, der Bewegung in der Stadt wird da sehr deutlich.

Mathias Güntner: Außerdem haben wir auf cineastisch interessante Filme geachtet. Wichtig war, dass die Filme filmisch etwas probiert haben, was auch heute noch interessant ist, was heute noch funktioniert. Dziga Vertovs Der Mann mit der Kamera ist da ein Paradebeispiel.

Nun kann man ja ein Programm, das Filme zeigt, die sich mit Stadt beschäftigen, ziemlich endlos ausdehnen. Zugespitzt gesagt befasst sich ja beinahe jeder Film, der kein ausdrücklicher Naturfilm oder ein Western ist, in irgendeiner Weise mit Stadt.

Olaf Bartels: Das ist natürlich genau das Problem. Aber die Stadt ist halt der der Ort, an dem ganz viele Leute wohnen. Das ist ja der Unterschied zum Land. Das ist jetzt nicht so platt gemeint, wie es klingt. Aber in der Stadt ist nun mal das geballte Leben, hier äußert sich das Soziale stärker, hier kulminiert die Geschichte, und die Stadt hat ihre eigenen Gesetze. Viele Metropolen wachsen heute zum Beispiel stärker an ihrer Peripherie, während das Stadtzentrum immer leerer wird. Fachleute nennen das den Sprawl-Effekt. Die Berliner, auch Hamburger Stadtplaner versuchen hier kräftig gegen zu steuern. Es kam uns eben nicht nur darauf an, dass Architektur oder dass ein Architekt in den Filmen irgendwie vorkommt. Propaganda für Architektur ist für uns ein eigenes Thema. In einigen Programmen zeigen wir nur Porträts einzelner Architekten oder einzelner Häuser.

Thomas Tode: Bei der Auswahl sind allerdings viele Filme wieder rausgefallen, weil sie uns Architektur nicht genug thematisiert oder problematisiert haben.

Mathias Güntner: Wir haben den Bogen bewusst weit aufgespannt. Unsere Auswahl richtet sich teilweise auch nach den persönlichen Schwerpunkten. Für mich ist sehr grundsätzlich die Frage: Was ist eigentlich Architektur? Die beginnt eigentlich schon beim Raum, ob er jetzt unbebaut oder bebaut ist. Ich glaube aber nicht, dass wir uns dabei verlieren. Wir haben für unsere jeweiligen Fragestellungen immer sehr prägnante Filmbeispiele gesucht.

Lasse Ole Hempel: Bei der Auswahl hat es sich ergeben, dass wir überwiegend dokumentarische Filme haben, bis auf einen, Chunking Express, den wir auf der letzten Veranstaltung zeigen. Unter den Spielfilmen gibt es zwar ganz viele Klassiker, wie Blade Runner oder Der Bauch des Architekten, aber die kann man ja immer mal wieder sehen.

Im Rahmen eurer Reihe führt ihr ja nicht nur Filme im Kino vor. Es gibt eine Veranstaltung, bei der ihr Filme im Fernsehturm zeigt, und der Eröffnungsabend mit Vertovs Mann mit der Kamera findet im Mojo Club auf der Reeperbahn statt. Ihr macht also auch einen Schritt raus aus dem Kino, rein in die Stadt ...

Thomas Tode: Mit dem Ort, dem Mojo, hat es eine besondere Bewandtnis. Früher stand dort ein Kino namens Schauburg. Vertov war selbst einmal dort, und zwar zur Premiere seines Films Enthusiasmus. Wir fanden das ganz passend, genau dort die Reihe zu eröffnen. Vertovs Film zeigen wir am Anfang, weil er ein ganz typisches Beispiel für eine City-Symphonie ist und einer der großartigsten seines Genres. Er ist von 1929, steht also auch historisch gesehen am Anfang. Es gibt noch einige, die ein ganz kleines bisschen älter sind, Manhatta zum Beispiel. Aber Vertov hat zugleich filmimmanent das Medium Film vorgeführt und das Verhältnis Stadt und Film thematisiert. Und was ganz wichtig ist: Wir wollten, gerade weil diese Filme sehr musikalisch sind und man sie gut vertonen kann, Musikveranstaltungen dazu präsentieren, eben „wahre“ City-Symphonien.

Ihr, die kinoki-DJs, macht die Vertonung zu dem Vertov-Film ja nicht zum ersten Mal. Vor zwei Monaten seid ihr zum Beispiel im Fundbüro gewesen mit eurem Set. Wie seid ihr denn darauf gekommen, diesen Film zu vertonen?

Nicole Happ: Wir haben den Film mal gesehen im Metropolis. Er ist sehr rhytmisch montiert, sehr symphonisch, so dass man ihn gut mit Musik unterlegen kann. Wir fanden, der Film schreit nach Musik. Dass aus der Zeit des Films keine feste Partitur überliefert ist – Vertov hat die Musiker vor Ort jeweils zu dem Film improvisieren lassen – hat uns ermutigt, auch mal eine Vertonung zu versuchen. Nur dass wir sie eben an den Plattentellern machen.

Welche Musik habt ihr denn ausgesucht zu dem Film?

Nicole Happ: Teilweise haben wir Zeitgenössisches genommen, etwa Schostakowitsch, die neueren Sachen reichen von Roni Size, also Drum'n'Bass, zu Kruder und Dorfmeister oder Sven Väth.

Ihr hättet euch ja entscheiden können, ausschließlich Musik zu nehmen, die zur Zeit des Films entstanden ist ...

Dietrich Machmer: Unser Ansatz ist nicht so puristisch. Uns ist die Eigenständigkeit der Musik wichtiger. Wir wollten, dass das Visuelle und das Akustische gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die Filmmusik unterstützt ja klassischerweise nur das Visuelle des Films. Oder anders herum beim Videoclip: Da werden die Bilder oft nur der Musik untergeordnet. Wenn man den Film sieht, merkt man schnell, dass er bis jetzt, was die Bildersprache angeht, avantgardis-tisch ist, warum sollte man also nicht Musik nehmen, die wir heute als avanciert begreifen.

Und was erwartet einen bei der zweiten Musikveranstaltung der Reihe?

Mathias Güntner: Am Samstag wird die Hamburger Gruppe Field im Metropolis Musik zu Weltstadt in den Flegeljahren. Es ist auch ein Stummfilm, einer der letzten seiner Zeit, 1931 gedreht von Heinrich Hauser, der eigentlich Schriftsteller und Reporter war. Der ist damals mit seiner Handkamera im Gepäck einfach nach Chicago gefahren und hat ganz allein diesen 65 Minuten langen Film gemacht. Der Film ist nach seiner Uraufführung in Berlin trotz hervorragender Kritiken in den Archiven gelandet und nie wieder aufgeführt worden. 1995 ist er durch einen Berliner Filmhistoriker wieder entdeckt worden. Gleich daraufhin ist eine Berliner Gruppe drangegangen, ihn zu vertonen. Die Band hat sich aber inzwischen aufgelöst, nachdem sie längere Zeit mit dem Film durch Europa getourt sind. Wir haben uns dann entschlossen, Field, die früher auch schon einige Filme begleitet haben, damit richtiggehend zu beauftragen.

Was machen die für einen Sound?

Mathias Güntner: Das bewegt sich um Drum'n'Bass, Ambient und andere elektronische Musik herum. Aber sie spielen live mit Schlagzeug und Bass und allem Drum und Dran.

Thomas Tode: Der Film ist im Grunde viel besser als der Berlin – Symphonie der Großstadt von Ruttmann, der in diesem Zusammenhang immer gerne als wichtigster genannt wird. Hausers beleuchtet viel stärker soziale Aspekte. Er ist zur Zeit der großen Depression aufgenommen und er hat auch die Situation der Schwarzen in seinen Film aufgenommen, die man sonst immer vergeblich sucht in den Filmen jener Zeit, oder die der Arbeitslosen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview:

Christiane Müller-Lobeck

Die Filme dieser Woche: „City-Symphonien Europa“: La Tour , Markt in Berlin , Der Mann mit der Kamera , Freitag, 4.8., 21 Uhr, Mojo; „Die Mitte und der Rand I“: In the Street , Val Fourré I.: Chronique d'une Banlieue Ordinaire , Val Fourré II.: Rêve de Ville , Samstag, 5.8. 19 Uhr, Metropolis; „City-Symphonien USA“: Manhatta , New York , Weltstadt in den Flegeljahren. Ein Bericht über Chicago , Samstag, 5.8., 21.15, Metropolis; „Porträt der Stadt“: A Valparaiso , NY, the Lost Civilization , Vacancy , Pierre Kassovitz zeigt Hamburg , Sonntag, 6.8., 19 Uhr, Metropolis; „Die Mitte und der Rand II“: Aimless Walks , Die leere Mitte , Blight , If You Lived Here, You'd Be Home By Now , Sonntag, 6.8., 21.15 Uhr, Metropolis

Ausführliches Programm unter: www.cinepolis.de und an den ein-schlägigen Stellen