: Galaktische Spiegeleier
■ Knallhart Blau gegen Rot: Ruthenbeck in der Kunsthalle
Einfachheit ist nicht nur für die Minimalisten das wichtigste Kriterium; mit einem möglichst reduzierten Aufwand für eine Idee kommt auch Reiner Ruthenbeck aus. Der konzeptuelle Bildhauer, 1937 im Rheinland geboren, arbeitete zuerst als Fotograf, war 1962 bis 1968 dann Student bei Joseph Beuys in Düsseldorf, ist ein großer Freund der transzendentalen Meditation und lehrt zur Zeit als Professor an der Kunstakademie in Müns-ter.
In Hamburg hatte der viermalige documenta-Teilnehmer 1975/76 eine Gastdozentur, und in der Galerie der Gegenwart befinden sich seine Werke Aschehaufen VI und Hängematte. Arbeit im Material ist aber nur eine Möglichkeit für Formdemonstrationen, auch die eher beiläufige Zeichnung kann eine Idee fast schon hinreichend vermitteln. Und das um so mehr, als dass die unpretentiöse Einfachheit der Entwürfe dieses Ideenreservoirs selbst im anspruchslosen Format eine relative Monumentalität gewinnt.
Die Hamburger Kunsthalle zeigt jetzt eine Auswahl von 95 Blättern, die meisten nicht größer als 20 mal 30 Zentimeter. Im Außenkreis des Kuppelsaals im Altbau befinden sich dabei die möglicherweise zu realisierenden Werkentwürfe wie Objekte mit Membranen, Räume mit Tuchobjekten oder aus dem Gleichgewicht geratene Tische, im Binnenkreuz der Kuppel dann die eher freien Zeichnungen. Zwei schwarze und eine rote gerundete Zickzacklinie, Drei blaue galaktische Spiegeleier oder Sonnenform heißen die durch die Verwendung von Wachsmalkreide etwas malerischen Visionen von der Durchdringung und Verschmelzung der Gegensätze.
Festes Eisen und fallender Stoff, unscharfe Begrenzungen von geknülltem Papier oder Aschehaufen gegen präzise Randlinien von Holz und Stahl, solche Konfrontationen sind typisch für den Plastiker. Auf die Farbe bezogen, bearbeitet Reiner Ruthenbeck immer wieder die Opposition von Rot und Blau. Da sind zwei Ovalkörper an langen Stangen waageartig einander gegenübergestellt, da gibt es ein Duell mit „Blauen Bohnen“ und eben roten, und 1989 ließ der Künstler in Hamburg gegenläufig zwei LKW um die Binnenalster fahren: Der eine hatte eine feuerrot leuchtende Ladefläche, der andere eine meerblau schimmernde.
Doch vielleicht ist das schon zuviel Aufwand für ein Konzept, das bereits in der Zeichnung ausgearbeitet ist. Diese Ausstellung zeigt nicht nur, wie ein minimalistischer Plastiker von den Studien des menschlichen Skeletts zu seinen reduzierten Form- und Funktionsentwürfen gelangt, sie ruft auch wieder einmal ins Gedächtnis, dass der zeichnerische Entwurf, das Desegno, seit der Renaissance nicht umsonst als wichtigste aller Künste galt. Hajo Schiff
Reiner Ruthenbeck - Zeichnungen, Hamburger Kunsthalle, Kuppelsaal, bis 24. September; Katalog, Hardcover, 128 Seiten, mit Abbildungen aller ausgestellten Arbeiten, 39 Mark
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