: Anime in Hollywood-Manier
■ Erwachsene Kleinstfummelei: Perfect Blue im 3001
„Offenbar kann niemand mehr einen ordentlichen Psychothriller drehen.“, heißt es an exponierter Stelle in Satoshi Kons Anime Perfect Blue großkotzig. Das soll uns sagen: Für die ganz kleinen „Pokemon“-Freunde ist das nicht der richtige Stoff. Hier wurde mit Millionenbudget und unter der Anleitung von Akira-Schöpfer Katsuhiro Otomo als special advisor in jahrelanger Kleinstfummelei an Animationen gearbeitet, die Hollywood auf seinem ureigensten Terrain schlagen sollen: dem der (erzähl-) technisch perfekt in Szene gesetzten suspense.
Und das Ergebnis, ein tatsächlicher Anime „für Erwachsene“, ist über weite Strecken ziemlich beeindruckend, weil sich bislang kein anderer Anime in seinem Einstellungs- und Montagewahn derart filmisch gebärdete. „Erwachsen“ heißt dabei natürlich mehreres: Statt in Fantasy- oder Cyborg-Szenarien zu schwelgen, orientiert sich Perfect Blue an der Genregeschichtevon Thrillers und stalker movie. Wie Brian de Palma zitiert Satoshi Kon popverliebt ganze Hitchcock-Einstellungen aus Vertigo; anderes erinnert an Carpenter oder Verhoeven. Und wie sich dessen Basic Instinct auch als Designer-Softpornografie verstehen ließ, verdankt Perfect Blue seine explicitness in Sachen Sex und Gewalt auch ein wenig jenen Schmuddel-Mangas, von denen sich Videothekare nicht wissen, ob sie sie ganz vorne oder ganz hinten einsortieren sollen. Ein „Sexdrama“ ist Perfect Blue allerdings mitnichten, ein „Psychothriller“ eigentlich auch nicht: Dafür gibt es zu wenig Sex und zu wenig Psychologie. Vielmehr erzählt sich Perfect Blue als radikalisierte, abgründigere Version jener Mädchenträume, die die japanische Popkultur zuhauf bevölkern.
Mima ist Sängerin in der erfolgreichen Retorten-Band Cham. Auf Anraten ihrer Managers, aber gegen den Willen der Fans, verlässt Mima zu Beginn des Film die Gruppe, um eine Karriere als Schauspielerin in einer Serienkiller-TV-Serie einzuschlagen, die im Folgenden das Ihrige dazu beitragen wird, als Film im Film die Realitätsebenen zu verwirren. Zuhause entdeckt Mima eine inoffizielle Mima-Webpage, auf der ihre privatesten Gedanken zu lesen sind. Der Karrierschritt gerät zum Desaster: Ein „Mimaniac“ verfolgt sie offensichtlich auf Schritt und Tritt, ihre blutigen Albträume wiederholen sich am Set, als die Crew gewaltsam dezimiert wird, und bald weiß Mima kaum mehr, wer sie ist. Mit dem Auftritt ihres alten Ichs Mima, der geliebten Sängerin, nicht Mima, der verhassten Serienschlampe, ist die Identitätskrise perfekt, und der Star droht in die völlige Umnachtung zu fallen. Wie im amerikanischen Thriller kommt es dabei letztendlich zu einer an den Haaren herbeigezogenen Auflösung. Dass sich die allerdings etwas überdrehter einstellt als üblich, macht eine der Stärken von Perfect Blue aus und gibt gelegentlich den Blick frei auf das, was man einst Gesellschaft des Spektakels nannte. Tobias Nagl
3.8. bis 9.8., 20.30 Uhr; 10.8. bis 23.8. (außer sonntags), 22.30 Uhr, 3001
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