: Wenn der Doktor zweimal röntgt
Die ungesunden Strahlen kommen nicht aus den Atommeilern, sondern vor allem von der Sonne und dem Röntgenarzt: Gestern stellten Wolfram König und Jürgen Trittin den Jahresbericht des Bundesamtes für Strahlenschutz vor
aus Berlin MATTHIAS URBACH
Wer sich Gedanken macht um krank machende Strahlen, denkt zunächst an Atommeiler und Handys. Und denkt falsch. „Die kerntechnischen Anlagen haben einen sehr geringen Anteil an der Belastung der Bevölkerung“, erklärte gestern der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König (Grüne).
Wer sich über Strahlenbelastung sorgt, sollte vor allem zu viel Röntgenuntersuchungen und Sonnenbaden vermeiden. Es gebe einen „dramatischen Anstieg des schwarzen Hautkrebses“, berichtete König gestern. Zwischen 1970 und 1993 habe sich dessen Häufigkeit verdreifacht. Schuld ist das veränderte Freizeitverhalten, exzessives Solariumsbräunen und der häufige Mallorca-Urlaub. Insbesondere Kinder sollten mehr geschützt werden: Sonnenbrände in frühen Lebensjahren fördern Hautkrebs. „Die Haut hat ein Elefantengedächtnis“, erklärte König.
Mit einer UV-Wetterkarte auf seiner Homepage (www.bfs.de) will das BfS den Bürgern einen Hinweis geben, wie lange man in der Sonne bleiben darf. Auch in Deutschland können zur Mittagszeit 20 Minuten Sonnen bereits zu viel sein.
Außerdem sind die Deutschen Weltmeister im Röntgen. So gingen laut der letzten internationalen Vergleichsstudie von 1993 etwa die Dänen nur halb so oft zur Röntgen-Untersuchung wie unsereins. Die Strahlenbelastung durch Röntgen steigt sogar an, auf zurzeit 2 Millisievert (mS) pro Jahr und Person. Millisievert gibt die Belastung durch Röntgenstrahlen an. Zum Vergleich: Die Strahlenschutznovelle sieht für Belastungen aus der Nutzung radioaktiver Stoffe etwa in Atommeilern einen Grenzwert von nur 1 mS vor. Die modernen Computertomografien (CT) schlagen besonders zu Buche. Während einem etwa eine Zahnröntgenaufnahme nur mit 0,01 mS belastet und eine Bauchröntgenaufnahme mit 1 mS, belastet eine CT mindestens mit 1 mS und erreicht bis zu 27 mS, wenn der Bauch durchleuchtet wird. Deshalb will der grüne Umweltminister Jürgen Trittin, dem das BfS untersteht, die Röntgenverordnung novellieren. Strahlenfreie Diagnostik solle mehr genutzt werden und die Ärzte dazu gebracht werden, die Patienten aufzuklären und sorgfältiger abzuwägen, ob etwa eine CT wirklich nötig ist.
Die bereits im April von Trittin angekündigte Strahlenschutznovelle, die den Strahlenschutz des Atombetriebs verbessern soll, ist noch nicht fertig. Eigentlich sollte sie bereits verabschiedet sein. Gestern hieß es bloß, sie werde noch „in diesem Jahr fertig“. Umstritten sind hier vor allem Freigaberegelungen für schwachradioaktive Reststoffe, etwa aus dem Abriss von Atomanlagen. Der Umweltverband BUND hält die geplanten Grenzwerte und Kontrollregeln für zu lasch. „Es kann ein Mehrfaches an Strahlenbelastung entstehen, als Trittin vorrechnet“, kritisiert BUND-Experte Helmut Hirsch. Auch den angepeilten Dosis-Grenzwert von 1 mS für die Bevölkerung kritisieren Strahlenschützer selbst aus Trittins eigenen Kommissionen als zu hoch.
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