: „Otpor hat keine Führer“
Otpor-Mitglied Ivan Marovic über die Aktionen, Ziele und Motive der Bewegung
taz: Sie kämpfen mit der Kraft der Intelligenz, der Schlagfertigkeit und des Zynismus. Das serbische Regime begegnet Ihren einfallsreichen Aktionen mit Verhaftungen und Gewalt. Werden Sie aufhören, das Regime zu provozieren, um Ihre Mitglieder zu schützen?
Ivan Marović: Ganz im Gegenteil, wir werden das Regime immer stärker provozieren. Die Gewalt, mit der man uns begegnet, beweist, dass die Regierung den Sinn der Organisation Otpor nicht verstanden hat. Denn erstens erreichen sie mit ihrer Gewalt genau den gegenteiligen Effekt: Otpor wächst in ganz Serbien. Wenn in einer Stadt unsere Mitglieder verhaftet werden, haben wir am nächsten Tag 50 Neueintritte zu verzeichnen.
Wie funktioniert Otpor?
Wir haben keine zentralistische Organisation und auch keine Hierarchie von Belgrad aus ins Landesinnere. Aber was am wichtigsten ist: Otpor hat keine Führer. Das ist bewusst so entschieden, denn einzelne Personen könnte man jederzeit bestechen, erpressen, diskreditieren, aus dem Weg räumen oder sogar umbringen. Bei uns gibt es keine einzelne Person, deren Liquidierung das Bestehen der Organisation in Frage stellen könnte. Unser Symbol, die geballte Faust, steht bei uns statt eines Führers an erster Stelle. Dagegen ist das Regime machtlos.
Wie ist Ihr Verhältnis zu den demokratischen Parteien?
Unser Verhältnis ist klar definiert. Otpor kämpft für den Regierungswechsel. Wir betrachten die Parteien der demokratischen Opposition als Werkzeug, mit dessen Hilfe bei Neuwahlen das jetzige Regime abgelöst werden wird. Wenn die demokratischen Parteien an die Macht gekommen sind, können wir gemeinsam eine demokratische Gesellschaft aufbauen.
In Serbien haben wir die absurde Situation, dass sich die linken und die rechten Parteien zusammengetan haben, um an der Macht zu bleiben. Gleichzeitig diskutiert unsere demokratische Opposition ständig interne Gegensätze, anstatt sich auf das grundlegende Ziel zu konzentrieren: die nächsten Wahlen zu gewinnen. Natürlich muss man berücksichtigen, dass wir in einer undemokratischen Gesellschaft leben, in einer Diktatur. Unter solchen Umständen muss auch eine demokratische Opposition zerschlagen und verwirrt sein.
Trotzdem: Wenn 16 demokratisch orientierte Parteien versuchen wollen, dieses Regime abzulösen, dann muss man von ihnen eine viel stärkere Zusammenarbeit erwarten können als zwischen den jetzt regierenden Parteien.
Seit auch die letzten unabhängigen Sender, Studio-B und Radio-B-2-92, geschlossen wurden, leben Sie in einer vollkommenen Informationsblockade. Wie gehen Sie damit um?
Belgrad leidet am stärksten unter der Zensur der Medien. In den kleineren Städten ist die Lage etwas besser, weil die lokalen Radiosender das über Satellit kommende Programm des unabhängigen Senders B-2-92 übernehmen und senden. Es sind auch nicht alle unabhängigen elektronischen Medien geschlossen. Am schlimmsten aber ist der Bereich der Printmedien von den Blockaden betroffen. Mit wirtschaftlichen und juristischen Mitteln wird gerade daran gearbeitet, die drei wichtigsten unabhängigen Zeitungen zu ruinieren.
Otpor arbeitet von Anfang an mit alternativen Methoden der Informationsvermittlung. Wir verteilen große Mengen Flugblätter und verschiedene andere gedruckte Materialien. In mehr als 100 serbischen Städten sind unsere Flugblätter manchmal die einzigen unabhängigen Informationsmittel.
Bereiten Sie eine „Befreiung“ der Universitäten vor, die von der Regierung geschlossen worden sind?
Die Repressionen des Regimes sind eine Folge der schlechten Politik und nicht ihre Ursache. In unserer „Erklärung für die Zukunft Serbiens“ haben wir beschlossen, alle unsere Aktivitäten auf den Sturz des Verursachers zu richten. Deshalb ist der Schwerpunkt unserer Aktivitäten ein Regierungswechsel durch freie demokratische Wahlen. Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, können wir uns der Beseitigung der alten Missstände zuwenden.
Interview: JASMINA NJARADI
Übersetzung: MELINDA BIOLCHINI
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen