die stimme der kritik
: Betr.: Zeitbomben aller Art

Erweichte Gehirne

Wenig erquicklich war die Zeitungslektüre in den letzten Tagen für die Sympathisanten der artenreichen Tierwelt. Wenn Traumurlaubs-Reisende verbrennen, Nazis morden und Bruder Zlatko verspricht, im Osten auf eine Toleranz-Werbetournee zu gehen, sind die Freunde des Menschen nicht mehr viele Zeilen wert. Nicht einmal mehr die Kampfhunde stehen jetzt hoch im Kurs, nur der hier zu Lande populärste von ihnen ist noch titelseitenreif (BamS: „Scharping: Ja, ich lasse mich scheiden“).

Doch wie geht es zum Beispiel den Rindern und Schafen unter uns? Auf den ersten Blick ganz gut. Aber: „Experten der Europäischen Union halten es für möglich, dass es in Deutschland und zwei anderen EU-Staaten unentdeckte Fälle der Rinderkrankheit BSE gibt ... Ein Experte warnte zudem vor dem Übergreifen der Rinderseuche ... auf Schafe.“ Das meldete die Süddeutsche Zeitung.

BSE! Long time no see! Aber jetzt ist er wieder da, der gute alte Wahnsinn, und er scheint gefährlicher zu sein denn je, wenn man dem Fachmann Emmanuel Vanopdenbosch glauben darf: Das Risiko, dass der Rinderwahnsinn auf Schafe übergreife, sei eine „Zeitbombe“, sagt der Vorsitzende der BSE-Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission. Damit gelingt es ihm immerhin, einen Bezug zum Thema Concorde herzustellen, denn dieses Verkehrsmittel gilt ja mittlerweile ebenfalls als „Zeitbombe“.

Und hat nicht auch irgendein ostdeutscher Lokalpolitiker Cliquen jugendzentrumsloser Jugendlicher mal so bezeichnet? Dass dieser Terminus Konjunktur hat, ist womöglich dem Wetter zuzuschreiben: Verwandte Begriffe wie „Eisbombe“ oder „Arschbombe“ lassen sich derzeit schließlich schwer zur Anwendung bringen.

Die Schafe, so Vanopdenbosch, seien besonders arm dran, falls sie sich infizierten, weil sich die Seuche unter ihnen schneller ausbreiten werde als bei Rindern. Nur jene Lebewesen, die Flugtickets kaufen können, dürfen aufatmen – zumindest ab 1. Oktober, wenn „verschärfte Maßnahmen in Kraft treten, bei denen Risikomaterial wie Gehirn, Rückenmark und andere Gewebe mit möglicherweise hoher BSE-Infektiosität aus der Nahrungskette ausgeschaltet werden müssen“ (Kölner Stadtanzeiger). Auch hier ist das Bemühen erkennbar, sich auf aktuelle Ereignisse jenseits der Tierwelt zu beziehen. Bei den Nazis ist das Gehirn ja auch irgendwie „Risikomaterial“. RENÉ MARTENS