piwik no script img

Die Rückkehr der Eunuchin

Fast die Hälfte ihres Lebens war die australische Feministin Germaine Greer gar keine. Erst 1968 begann die 1939 Geborene über die Befreiung der Frau zu schreiben – als „Spätzünder“, wie sie selbst bekundet.

Doch bereits zwei Jahre später, 1970, schrieb sie sich in die Geschichte des Feminismus ein: „Der weibliche Eunuch“ avancierte zum Weltbestseller und brachte der Autorin vor allem in den USA große Publicity ein. Das Buch verstand sich als Generalattacke gegen die Rolle der Frau als Sexualobjekt, die in der Ehe die Lösung all ihrer Probleme suchte. Unter dem „Female Eunuch“ (so der Titel der Originalausgabe) verstand Greer die vom Mann abhängige Frau, die als Püppchentyp verhöhnt werde.

1984 machte Greer mit „Sex and Destiny“ erneut von sich reden. In diesem Buch forderte sie als Regeneration der freien Liebe eine Rückkehr zu Abstinenz und Keuschheit. Dabei verurteilte sie die Antikindhaltung westlicher Nationen. Ihren neuen kritischen Blick auf Bevölkerungswachstum und Geburtenkontrolle verdankte Greer nach eigenen Angaben der Dritten Welt. Dort habe sie den Segen der Großfamilie und die seelische Wiederherstellung der Frau als Mater Familiae erfahren.

Innerhalb der Frauenbewegung wurde Greer mit dieser Position zur Persona non grata. Sie selbst verschmerzte den Statusverlust jedoch unbeschadet, fühlte sich lediglich doppelt missverstanden: Weder habe sie mit „Der weibliche Eunuch“ zu Sex aufgefordert noch mit „Sex and Destiny“ Abstinenz propagiert. Vor allem Rezensionen in Zeitungen seien für das „Missverständnis“ verantwortlich.

Ihren Berufsweg begann Greer Anfang der Sechzigerjahre als Lehrerin an einer Mädchenschule in Sydney. 1963 erhielt sie eine Tutorenstelle an der dortigen Universität, und bereits vier Jahre später folgte die Promotion. In Warwick nahm sie einen Lehrauftrag für Drama an und wechselte 1979 nach Oklahoma. Dort baute Greer ein Studienzentrum für feministische Literatur auf, das sie bis 1982 leitete. 1980 bis 1983 hatte sie in Oklahoma eine Professur inne.

In den Siebzigerjahren arbeitete Greer auch als freiberufliche Journalistin und machte sich auf ausgedehnten Reisen durch Afrika und Asien über alternative Lebensformen kundig. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Reportagen und Essays. Ein Sammelband ihrer journalistischen Arbeiten erschien 1987 unter dem Titel „The Madwoman’s Underclothes“.

Außerdem sammelte Greer in den bedeutenden Museen und Galerien Europas Material zu einem Buch über Malerinnen von Rang. („The Obstacle Race: The Fortunes of Women Painters and Their Work“). Darin kam sie zu dem Schluss, dass die vergebliche Suche nach einem weiblichen Leonardo, Tizian oder Poussin mit der männlichern Dominanz erklärt werden müsse, die Frauen entmündige.

Das publizistische Oeuvre Greers umfasst weiterhin einen schmalen Shakespeare-Band, in dem sie Leben, Philosophie und Werke des Dramatikers untersuchte. Außerdem veröffentlichte sie eine Anthologie mit Gedichten von Frauen aus dem 17. Jahrhundert und eine Studie über das Altern bei Frauen.

In ihrem jüngsten Buch, „Die ganze Frau“, wagt Greer eine „neuerliche große Bestandsaufnahme“ (Klappentext) und kritisiert die Selbszufriedenheit der Frauen: Germaine Greer: Die ganze Frau. Körper, Geist, Liebe, Macht. München 2000 (dtv), 458 Seiten, 38 Mark

Heute lebt Greer allein mit ihren Katzen in einer abgelegenen Villa, rund sechzig Kilometer nordöstlich von London, in ihrer britischen Wahlheimat. BJÖRN KERN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen